Den Politikern einmal Kontra geben, nicht nur Talk-Show-Zuseher sein, sondern selbst Auge in Auge mitdiskutieren können, dieses Szenario ging für 40 STADTSPIEGEL-Leser in der Grugahalle Essen in Erfüllung. Bewirtet vom Team des Hattinger „Schultenhofs“ konnte man mit allen 16 Kandidaten der bereits im Landtag vertretenen Parteien so richtig schön „zur Sache kommen“.
„Das Landtags-Mahl ist eine ganz tolle Sache“, freut sich STADTSPIEGEL-Leserin Dr. Inge Wippermann. „Wo hat man sonst die Gelegenheit, so vielen LandtagsKandidaten direkt zu begegnen, die sich in wenigen Tagen zur Wahl stellen? Die Veranstaltung sollte bei den nächsten Wahlen unbedingt wiederholt werden!“ Auch einige Teilnehmer des Arbeitskreises „Frohnhausen aktuell“ der Volkshochschule hatten sich zur Veranstaltung angemeldet. „Das waren spannende Diskussionen in einer angenehmen Umgebung“, so ihr Urteil. Für den Arbeitskreis war dies eine gute Gelegenheit, „ihre“ lokalen Kandidaten persönlich kennen zu lernen. Gut vorbereitet waren die Leser am Tisch des Wahlkreises 68 (Wahlbezirk IV). Mit zahlreichen und gut recherchierten Fragen wurden Peter Weckmann (SPD), Manfred Kuhmichel, MdL (CDU), Kai Gehring (die Grünen) und Ralf Witzel, MdL (FDP) „ins Schwitzen“ gebracht.
Den Auftakt machte eine muntere Diskussion über die Schul- und Bildungspolitik der zukünftigen Landesregierung. Wie sehen sie die Zukunft der Schulen in NRW und was wurde in den vergangenen Jahren getan, um „PISA“ entgegen zu steuern? „Kinderförderung statt Steinkohle“ lautete das erklärte Motto von RalfWitzel. Ähnliche Ansichten vertrat Manfred Kuhmichel: „4.000 Lehrer mehr und die Förderung der Steinkohle bis 2010 stoppen – das ist unser Vorschlag.“ SPD- und Grünen- Vertreter stellten fest, dass sie als Regierung die Unterrichtssituation bereits stark verbesssert haben – vier Prozent des Unterrichts würden nur noch ausfallen und über 3.000 Lehrer seien neu eingestellt worden. Damit könnte man NRW durchaus als Musterländle bezeichnen. Auf einen gemeinsamen Nenner konnten sie sich nur in enem Punkt einigen: Mehr Entscheidungskompetenzen für die einzelnen Schulen – das sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Rege diskutiert wurde auch am Tisch des Wahlkreises 66 (Wahlbezirk II). Hier standen den Bürgern die Landtagskandidaten Franz-Josef Britz (CDU), Dieter Hilser (SPD), Hans-Dieter Vogt (FDP) sowie Wibke Riesner (Grüne) den interessierten Bürgern Rede und Antwort. So kochten die „Wogen“ recht hoch, als es um dasThema Energiekosten ging. EnergiekostenFrage: „Was tut die Politik, damit die Energiekosten für den Bürger noch zu finanzieren sind?“ Die Antworten der Politker kamen eher vage daher. So erklärte Franz-Josef Britz (CDU): „Die Engergiekosten setzen sich aus Produktionskosten und Steuern zusammen. Um die allgemeinen Kosten zu senken, müsste man evtl. die Steuern senken. Das Problem ist aber, dass der Staat kein Geld hat. Des Weiteren sollte man weiterhin auf gesetzliche Regelungen achten, dass Alleinanbieter ihre Monopolstellung nicht ausnutzen.“ Letzterem stimmen auch die Grünen zu und Wiebke Riesner betonte: „Wir setzen uns dafür ein, dass wir eine starke Regulierungsbehörde bekommen. Das muss aber noch durch den Bundesrat.“
Bildungspolitik: „Nur durch eine gründliche Schulausbildung und Angebote für berufstätige Eltern lässt sich Chancengleichheit herstellen“. Das gelte insbesondere für Kinder mit Immigrationshintergrund. Britz: „Kinder müssen spätestens beim Eintritt in den Kindergarten über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.“ Favorisiert wird ein Modell nach dem Motto „Fordern und fördern“ auch als Instrument gegen Jugendarbeitslosigkeit und schlechtes Abschneiden auf dem Lehrstellenmarkt. Während Wiebke Riesner für die Grünen die Ausbildungsabgabe für Betriebe ohne Lehrstellenangebot favorisiert, spricht sich der Liberale am Tisch für einen großzügigere Förderung privater Existenzgründer aus. Politische Mittel: Steuerfreibeträge, zinsgünstige Darlehen, Bürokratieabbau. Hilser stellte 5.000 neue Arbeitsplätze in Aussicht. Die Wirtschaft investiere in den nächsten Jahren 5 bis 6 Milliarden Euro in bestehende und neue Kraftwerke – eine Folge des NRW-Ernergiewirtschaftsgesetzes.
Ein lokales Thema brannte den Diskussionsteilnehmern besonders unter den Nägeln: Der Bau der Joachimbrücke zwischen Schonnebeck und Kray wird noch 2005 beginnen. „In eineinhalb bis zwei Jahren ist sie fertiggestellt“, versprach Britz. Für die Verzögerungen macht er die Deutsche Bahn AG verantwortlich. „Die Bahn hat’s hingeschleppt.“
Rege Diskussionen fanden am Tisch des Wahlkreises 67 (Wahlbezirk III) mit den Kandidaten Jörg Rodeike(CDU), Britta Altenkamp (SPD), Dr. Thomas Rommelspacher (Grüne) und Petra Hermann (FDP) statt. Um eine Vielzahl von Themen rankten sich Interesse und Kritik der Bürger, beispielsweise um das Thema „Kulturhauptstadt“ und den Nutzen für Essen. Die SPD-Landtagsabgeordnete Britta Altenkamp sagte dazu: „Ich habe viele Städte besucht, und zwar stets ein Jahr danach, ob Graz, Lissabon oder Lüttich. Dabei stellte ich fest, dass die Nachhaltigkeit hierbei am wichtigsten ist, und dass man diesen Gedanken schon im Vorfeld bei allen Planungen miteinbringen muss. Aber stellen Sie sich doch mal vor, dass selbst in diesem einen Jahr Essen überall in Deutschland bekannter und präsenter sein wird“.
Beim Thema „Innere Sicherheit“ erklärte der CDU-Kandidat Rodeike, dass er sich, sollte er gewählt
werden, für mehr Polizeipräsenz auf den Straßen einsetzen wolle, um den Bürgern ein besseres Gefühl der Sicherheit zu geben. Ein weiteres „dankbares“ Thema stellte die Gesundheitspolitik dar, zu der sich vor allem die FDP-Kandidatin Hermann äußerte, da sie sich auf dieses Feld besonders spezialisiert habe. Bei dieser sonst weitgehend bundespolitischen Problematik wolle sie sich „um die Qualitätssicherung und das Qualitätsmanagment in Praxen und Krankenhäusern kümmern“.
Gesundheitspolitik: Unmöglich fanden die Bürger den eventuellen Bau einer Müllverbrennungsanlage im Essener Norden. Eindeutig Position dagegen bezogen Britta Altenkamp und Dr. Thomas Rommelspacher hierzu. Beide seien strikt gegen das Vorhaben: „Wir haben bereits eine Anlage, die nicht mal voll ausgelastet ist und ich sehe keinen Grund für eine Realisierung des Projekts“, so Rommelspacher.
Eine muntere Gesprächsrunde entwickelte sich am Tisch der Kandidaten aus dem Wahlkreis 65 (Wahlbezirk I): Dirk Kindsgrab (Grüne), Horst Schössner (FDP), Thomas Kufen, MdL (CDU) und Thomas Kutschaty (SPD) mussten allerdings gleich bei der ersten Leserfrage zugeben, dass sie das Problem kennen, aber nicht lösen können: Rente / Pflege: Rosemarie Nagel, die mit 14 Jahren angefangen hat, zu arbeiten, kann mit 60 nur mit Verlust in Rente gehen, obwohl sie bis dahin 46 Jahre Lebensarbeitszeit erreicht hat. Sie muss bis 65 arbeiten gehen und erreicht damit 51 Lebensarbeitszeitjahre. Alfred Schwätzer wies darauf hin, dass geistig Behinderte junge Menschen, die zwischen 7 und 23 Jahre alt sind, zum Beispiel zur Traugott-Weise-Schule gehen, pflegebedürftig sind und dort ausschließlich von Zivildienstleistenden betreut werden. „Dort wird eindeutig – neben den Pädagogen – ausgebildetes Pflegepersonal benötigt“, erklärte er und fragte: „Warum gibt es das nicht?“ Ein Missstand, den es zu beseitigen gilt, war die einhellige Antwort der Politiker. „Ich frage bei dem, der gewählt wurde, im nächsten Jahr nach“, versprach Schwätzer. Und der STADTSPIEGEL wird ihn dabei unterstützen.
Klar, kam auch hier das Thema PISA auf den Tisch. „Wir haben viele Dinge schon auf den Weg gebracht“, konnte Thomas Kutschaty dazu berichten. „Die Sprachförderung in Kindergärten wird vorangetrieben, die Ganztagsgrundschule ist auf den Weg gebracht, das Abitur soll in zwölf Jahren gebaut werden können“, zählt er auf. „Wir wollen dass Kinder Deutsch können, wenn sie in die Schule kommen und wenn sie sie verlassen, sollen sie mindestens Lesen, Rechnen und Schreiben können“, so Thomas Kufen. „Wir wollen keine Einheitsschule“, erklärte Horst Schössner. „NRW ist am Ende mit der Schulbildung“, stellt der FDP-Mann fest. „Das ist nicht mein Thema“, so Dirk Kindsgrab von den Grünen, der die Gesprächsrunde knapp eine Stunde vor Ende verließ – Termine.
Studiengebühren: Ein 17- jähriger Gesamtschüler wollte wissen, was auf ihn an Kosten zukommt, wenn er studieren will. „Das Erststudium bleibt mit uns gebührenfrei“, konnte Thomas Kutschaty ihm versichern. „Mit uns wird es Studiengebühren geben. Allerdings dürfen die Universitäten selbst wählen, ob sie welche nehmen wollen. Geplant sind 500 Euro pro Semester, die es aber auch als Kredit gibt“, so Thomas Kufen. „Wer seinen Meister machen oder Rettungshelfer werden möchte, muss das auch finanzieren.“ „Ich halte das kostenfreie Erststudium für sehr wichtig, damit alle studieren können, die wollen. Das ist für mich ein Stück Chancengleichheit“, erklärt Kutschaty. „Sie reden wie SPD, sehen aber aus wie CDU“, stellt eine Leserin fest – Kutschaty trägt Krawatte, Kufen nicht … Und als sie die Antwort auf eine Frage bekommt, die mit „Ja, das wollen wir …“ beginnt, dann aber eine erschöpfende
Erklärung folgen soll: „Danke, Ja oder Nein reicht mir als Antwort. Ich will hier schließlich keine Romane hören!“ Am Ende weiß sie, wen sie am 22. Mai wählen wird, Sie auch?