Todesurteil für das Amtsgericht?

Erneuter Schock für Borbeck: Nach dem Aus für das Bethesda-Krankenhaus und der ungewissen Zukunft des Freibades Hesse könnte jetzt auch noch das Amtsgericht auf der Kippe stehen. Noch werde »ergebnisoffen« geprüft, heißt es aus dem NRW-Justizministerium. Der Borbecker Bürger- und Verkehrsverein befürchtet eine weitere Schwächung der Infrastruktur vor Ort.

Der Essener Anwalts- und Notarverein spricht von »Wegrationalisierung«. Nach Informationen des Juristen-Zusammenschlusses hat der Direktor des Amtsgerichts Borbeck am vergangenen Mittwoch seine Mitarbeiter über die Schließungs-Überlegungen informiert.

Das Landesjustizministerium bestätigte, dass derzeit »die Zusammenlegung der Amtsgerichte zu einem Zentralgericht« geprüft werde. Neben dem Amtsgericht Essen an der Zweigertstraße gibt es auch noch die so genannten Vorort-Gerichte Steele und Borbeck. Ähnliche Situationen findet man in vier weiteren NRW-Städten, wo über eine Zusammenlegung nachgedacht wird. Insgesamt sind zwölf Amtsgerichte mit mehr als 1000 Mitarbeitern betroffen. Hintergrund: Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) verspricht sich dadurch, jede vierte Wachtmeisterstelle einsparen zu können. Das erfuhren die BN aus gut unterrichteten Kreisen. Ein zusammengelegtes Gericht erspare auf dem Papier 2,5 Wachtmeister für die Bedienung der Sicherheitsschleuse, wie der Anwalts- und Notarverein errechnete. In der offiziellen Mitteilung aus dem Düsseldorfer Ministerium heißt es allerdings: »Ein Personal- und Stellenabbau ist mit der Prüfung nicht verbunden.«

Bis zum Ende des Jahres sollen für jeden Ort die Vor- und Nachteile einer Änderung der Gerichtsstruktur und deren Auswirkungen auf den Bürger betrachtet werden. Organisatorische, personalwirtschaftliche, bauliche und haushaltswirtschaftliche Aspekte kommen unter die Lupe.

Am Amtsgericht Borbeck sind rund 40 Menschen beschäftigt die meisten davon im Angestelltenverhältnis. »Die Stimmung im Haus ist gedrückt«, verlautet aus dem Gerichtsgebäude. Unklar ist, ob eine Aufgabe des Amtsgerichts gleichzeitig das Ende der Rechtsprechung in Borbeck bedeuten würde. Vorstellbar sei auch, das Haus als eine Art Außenstelle des Amtsgerichts Essen weiter zu nutzen. Denn: Momentan scheint es eher unrealistisch, die Abteilungen in Rüttenscheid unterbringen zu können.

Laut Anwalts- und Notarverein gibt es im Gerichtsgebäude an der Zweigertstraße kein freies Büro mehr. »Die Mitarbeiter der Vorortgerichte könnten ausschließlich im ehemaligen Gebäude der Staatsanwaltschaft neben dem Landgericht unterkommen.« Das Objekt stehe zurzeit zwar leer, sei aber sanierungsbedürftig.

Der Borbecker Landtagsabgeordnete Thomas Kutschaty (SPD) überreichte der Ministerin während eines Gesprächs den Eingemeindungsvertrag von 1915. Darin wurde unter anderem der dauerhafte Bestand des Amtsgerichts Borbeck vereinbart. Die Ministerin kannte den Vertrag bislang nicht.

Aus Juristenkreisen heißt es, dass die Stadt sich zwar im Eingemeindungsvertrag bis heute wirksam verpflichtet hat, für den Erhalt des Gerichts einzutreten. Mehr aber auch nicht. Denn: Die Struktur und damit auch die Auflösung von einzelnen Gerichten unterliegt der Regelung durch ein Landesgesetz. Die Einwirkungsmöglichkeiten der Kommune sind ausschließlich über die politischen Mandatsträger gegeben. Muss Borbeck schließen, wäre das zwar »Vertragsbruch«, bliebe aber für die Stadt ohne Konsequenzen.

Thomas Kutschaty kündigte bereits massiven Widerstand gegen eine mögliche Schließung an: »Eine Schließung richtet sich gegen die Stadtteile und gegen den Anspruch einer bürgernahen Justiz. Gerade die Vorort-Gerichte zeichnen sich durch eine schnelle, unkomplizierte und effektive Arbeit aus.«

Dietmar Wilmsmann, Direktor des Borbecker Gerichts, verwies in der Vergangenheit immer auf die guten Erledigungszahlen seines Hauses. In Zivilverfahren belegt Borbeck eine Spitzenposition im Vergleich zu anderen Gerichten. Der Vorteil der »Justiz vor Ort« liegt auf der Hand: Sämtliche Mitarbeiter, vom Rechtspfleger bis zum Richter, kennen sich im Stadtteil gut aus. Hier weiß man, wo soziale Brennpunkte oder Unfallkreuzungen sind. Die Bürger schätzen zudem die kurzen Wege bei Erbschafts- und Familiensachen oder Streitigkeiten mit dem Vermieter. Eine Schwächung der Borbecker Infrastruktur befürchtet auch Wolfgang Sykorra, Vorsitzender des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins, in einer ersten Stellungnahme.

Ob und wie lange das Amtsgericht in Borbeck bleiben kann, hängt nach Einschätzung des Essener Anwalt- und Notarvereins von verschiedenen Faktoren ab. Finden die Spar-Pläne keine Mehrheit im Landtag, ist das Gericht gerettet. »Durch Bürgerprotest ist das Votum durchaus beeinflussbar«, macht der Verein Hoffnung. Und weiter: »Außerdem gibt es keine Schließung, wenn die Minimalsanierung des alten Hauses der Staatsanwaltschaft (an der Zweigertstraße die Red.) zu teuer wird oder das Gebäude anderweit vermarktet werden kann.«

Die Juristen erklären im Internet: »Für ein gewaltiges Protestszenario zur Einwirkung auf die Parlamentarier reicht die Faktenlage bereits heute aus. Aufstand wird es auf jeden Fall geben, mindestens von den örtlichen Bürgervereinen und den Lokalpolitikern. Dieser beginnt auch bereits, obwohl man besser bis zum Jahresende abgewartet hätte, ob in Essen die Fusion nicht schon an zu hohen Kosten der Sanierung des alten Staatsanwaltschaftsgebäudes scheitert.«

Einige Notare im Borbecker Raum könnten von einer neuen Gerichtsstruktur allerdings auch profitieren. Der Amtsbezirk würde sich auf das gesamte Essener Stadtgebiet vergrößern und ihnen damit unter anderem den Zugang zu lukrativen Immobiliengeschäften im Essener Süden ermöglichen.