Wenn Parteistrategen den Essener Stadtplan vor sich ausbreiten, verorten sie gern mit dem Zeigefinger "strukturelle Mehrheiten". Im bevölkerungsstarken, einst industriell geprägten Norden wohnen demnach Menschen, die traditionell der SPD zuneigen. Im wohlhabenderen, bürgerlich geprägten Süden sympathisiert man eher mit der CDU. Wenn die SPD die Massen im Norden nicht zu mobilisieren vermag und der dünner besiedelte Süden pflichtbewusst zur Urne schreitet, kann es passieren, dass die Christdemokraten ein auf ewig "rot" geglaubtes Rathaus erobern. So geschehen bei den Kommunalwahlen 1999 und 2004.
Vor diesem Hintergrund wurde an der jeweiligen Parteibasis schon seit Wochen darüber spekuliert, ob Bundestagswahl und Kommunalwahl von der schwarz-gelben Landesregierung wirklich im Herbst 2009 auf einen Tag gelegt werden. Solche terminlichen Bündelungen sind üblich, um organisatorischen und finanziellen Aufwand für die Kommunen in Grenzen zu halten. Zuletzt wurde 1994 zeitgleich über Bundestag und Stadtrat abgestimmt.
Allerdings: Nach der Essener Arithmetik würde von der Zusammenlegung die SPD profitieren, da der Kampf ums Kanzleramt erfahrungsgemäß mehr Menschen ins Wahllokal lockt. Kein Wunder also, dass Düsseldorfer Überlegungen zur Entkoppelung (WAZ berichtete im überregionalen Teil) bei den Sozialdemokraten Empörung hervorrufen. Über eine "undemokratische Trickserei" schimpften die Landtagsabgeordneten Britta Altenkamp und Thomas Kutschaty. Dieter Hilser, SPD-Unterbezirkschef und sonst ein Mann des umgänglichen Tons, nannte die Überlegung von FDP und CDU, vier Wochen zwischen Bundestags- und Kommunalwahl zu legen, einen "Irrwitz". Aus taktischen Gründen werde eine geringe Wahlbeteiligung provoziert. "Das ist ein demokratisch bedenkliches Verständnis und bringt Belastungen für den Bürger", so Hilser.
Das Wahlamt hat bereits überschlagen, dass zwei separate Abstimmungstermine für Essen rund 800 000 Euro an Mehrkosten bringen würden. "Für uns würde die Sache noch aufwendiger", sagt Rüdiger Lohse, Abteilungsleiter Wahlen beim Amt für Statistik und Wahlen. Der Kommunalwahltermin fiele mitten in die Abwicklung des Briefwahlverfahrens zur Bundestagswahl. Zudem müssten zweimal 2500 Wahlhelfer motiviert werden. "Nimmt man die Europawahlen und 2010 die Landestagswahlen hinzu, käme es schon happig", so Lohse. Die von der Landesregierung geplante Abschaffung der Oberbürgermeister-Stichwahl wäre organisatorisch konterkariert.
Auch für die Parteien selbst wäre der tatsächliche wie der politische Preis beträchtlich: Ein separater Kommunalwahlkampf kostet SPD und CDU geschätzte 70 000 Euro und viel Überredungskunst, um Mitglieder zu aktivieren.
"Schwarz-gelbe Arroganz der Macht darf nicht zu Willkür bei Wahlterminen führen", forderte Kai Gehring, Bundestagsabgeordneter der Grünen, die immerhin im Rat mit der CDU kooperieren. FDP-Chef Ralf Witzel sieht die Terminfrage "leidenschaftslos" und rät, darüber erst 2008 zu entscheiden. Deutliche Sympathie für die Entkoppelung der Wahlen zeigte indes der CDU-Vorsitzende Franz-Josef Britz: Kommunale Belange könnten so "nicht von der Bundespolitik überlagert werden". Jedes Parlament habe es verdient, durch eine eigene Wahl gewählt zu werden. Die Mehrkosten? "Demokratie kostet nun einmal Geld."
20.08.2007 Von Tobias Blasius