Gefängnisse zu voll – Klagewelle droht

Von Klaus Brandt Hamm/Detmold. Zwei ehemalige Häftlinge der JVA Detmold haben das Land NRW verklagt: Die Haftbedingungen seien unzumutbar gewesen. Jetzt signalisiert das Oberlandesgericht Hamm, dass die Kläger Recht bekommen werden. Dem Land droht eine Klagewelle, weil viele Haftanstalten überbelegt sind. Seit gestern verhandelt der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm.

Menschenunwürdig seien die Haftbedingungen gewesen und deshalb eine Entschädigung zwingend, argumentiert die Klägerseite. Knapp 160 bzw. über 500 Tage hätten sie in einer kleinen, mit mehreren Personen belegten Zelle absitzen müssen. Es habe nur eine notdürftig abgegrenzte Toilette gegeben, aber keine Entlüftung. Kurzum: Die Unterbringung sei eine unzumutbare Belastung gewesen. Bei der gestrigen mündlichen Verhandlung liels das Gericht erkennen, dass dem Land eine Verurteilung droht – das Urteil folgt am 14. Dezember.

Es wäre die erste grundsätzliche OLG-Entscheidung in NRW zu den Folgen der Überbelegung in den Haftanstalt ten. Der Druck auf Justizministerin Müller-Piepenkötter (CDU) und die Landesregierung würde bei einer Verurteilung zunehmen, weil nahezu alle Haftanstalten zu wenig Plätze haben. Der Bielefelder Rechtsanwalt Dirk Thenhausen, der die ehemaligen Häftlinge vertritt, verfolgt nach eigenen Angaben mehr als 40 weitere Fälle, unter anderem aus Weil und Geldern. Nach einer Statistik, so Thenhausen, sollen über 30 Prozent der Häftlinge nicht gesetzeskonform untergebracht sein.

Da dürfte es dem Land nur ein schwacher Trost sein, dass das Gericht die mögliche Entschädigung mit etwa zehn Euro pro Tag an der "unteren Grenze" ansetzen will. Demnach hätten die Ex-Häftlinge Anspruch auf rund 5000 bzw. 1500 Euro. "Trotz klarer Vorgabe nicht investiert"
Dies würde auch den Summen entsprechen, die das Landgericht Detmold den Klägern in erster Instanz zuerkannt hatte. In beiden Fällen handelt es sich um Haftzeiten aus dem Jahr 2002.

Der Anwalt der Kläger hatte deutlich höhere Entschädigungen von rund 100 Euro pro Tag gefordert. Das Land, so seine Argumentation, habe trotz klarer Gesetzesvorgabe über viele Jahre hinweg nicht in den Vollzug investiert.

HINTERGRUND Streit über die Reformen dauert an

  • Ein Jahr nach dem Foltermord in der JVA Siegburg streiten Regierung und Opposition weiter über die Ursachen für die grausame Tat, aber auch über die Reformen im NRW-Strafvollzug.
  • Am 11. November hatten drei JVA-Insassen im Alter von 18 bis 21 Jahren einen Zellengenossen (20) brutal zu Tode gefoltert. Die Männer wurden zu langer Haft verurteilt.
  • "Nach dem Foltermord hat sich der Strafvollzug in NRW grundlegend geändert", sagt Justizministerin Roswitha Müller- Piepenkötter (CDU) und kündigt weitere Reformen an. 330 Stellen seien neu geschaffen worden.
  • Die Opposition hält dagegen. "Der Strafvollzug ist noch immer ein Verwahrvollzug", sagt der SPD- Landtagsabgeordnete Thomas Kutschaty. Unter der Verantwortung der Ministerin habe sich der Personalmangel wie die chronische Überbelegung in den Gefängnissen nur wenig gebessert.

    Quelle: Westfälische Rundschau