Halbzeit in Nordrhein-Westfalen: „Die Menschen haben mehr verdient“

Zweieinhalb Jahre Schwarz-Gelb. Ein zweifelhaftes Jubiläum. Denn vielen Menschen in Nordrhein-Westfalen ist überhaupt nicht zu feiern zumute, obwohl Jürgen Rüttgers und seine PR-Strategen nichts unversucht lassen die Regierungsbilanz in den schillerndsten Farben zu zeichnen. Aber frische Farbe macht noch lange kein neues Haus und so wurde in den letzten Wochen immer deutlicher, dass überall dort, wo die Koalition der Enttäuschungen wütet, sie schlimme Verwüstungen hinterlässt.

In nahezu allen Bereichen der Landespolitik ist die Landesregierung auf dem Irrweg. Insbesondere gilt das für die Schulpolitik. Das mit der CDU in diesem Bereich kein Staat zu machen ist, hat nun auch die FDP erkannt und verhagelte mit ihrer Forderung nach einer Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems dem Ministerpräsidenten die Jubiläumsfeierlichkeiten. Was bleibt ist die Erkenntnis, dass die Union in der Schulstrukturdebatte nun völlig isoliert dasteht. Wir Sozialdemokraten haben mit der Idee der Gemeinschaftsschule unsere Vorschläge für ein gerechtes und zukunftsfestes Bildungssystem auf den Tisch gelegt.

Was der Ministerpräsident und seine Schulministerin in der Bildungspolitik anzubieten haben, ist ohnehin politische Magerkost: statt weniger, mehr Selektion. Statt für Reformen, verschwendet die Landesregierung Zeit mit rückwärtsgewandten Veränderungen wie der Einführung von Kopfnoten. Die Aufhebung der Grundschulbezirke, gegen ausdrückliche Bedenken der Praktiker in den Kommunen, führt bereits zu weiteren sozialen Spaltungen und "Ghettoschulen". Beim Thema Unterrichtsausfall hingegen, wird das Schulministerium kreativ. Um ihr Versprechen, den Unterrichtsausfall massiv zu reduzieren, einzulösen, setzt die Landesregierung auf eigenverantwortlichen Unterricht: Die Kinder werden ohne Lehrer im Raum belassen und sollen sich mit sich selbst beschäftigen. Das ist das Gegenteil fortschrittlicher Bildungspolitik.

Rüttgers und seine Ministerriege peitschen Gesetz für Gesetz durch den Landtag. Bestes Beispiel hierfür ist das sogenannte Kinderbildungsgesetz (KiBiz). Aller Warnungen von Experten zum Trotz hat der Landtag nun ein Gesetz beschlossen, das die Qualität in den Kindereinrichtungen verschlechtert und den Landeshaushalt auf dem Rücken der Kinder saniert. Hinzu kommt: Schwarz-Gelb hat den Elternbeitragdefizitausgleich ersatzlos gestrichen. Das bedeutet, dass Gemeinden in der Haushaltssicherung, also auch Essen, keine andere Wahl haben werden, als die Elternbeiträge anzuheben (siehe hierzu auch das Interview mit Britta Altenkamp in dieser Ausgabe).

CDU und FDP machen eine bürger- und kommunalfeindliche Politik. Kein Wunder, ruft diese Politik massive Proteste hervor. Immer mehr Menschen wehren sich gegen die Schwarz-Gelben Versuche, den Markt und nicht den Menschen in den Mittelpunkt politischen Handelns zu rücken. Fast 300.000 Menschen haben seit der Regierungsübernahme gegen diese Politik der Zumutungen protestiert.

Zweieinhalb Jahre Rüttgers bedeuten auch zweieinhalb Jahre Politik gegen die Städte und Gemeinden und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Die Beschränkungen bei der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen werden die Menschen teuer zu stehen kommen. Durch gezielte Änderungen beim Gemeindefinanzierungsgesetz belaufen sich die Mindereinahmen der Städte und Gemeinden in 2007 auf 180 Mio. Euro. Gleichzeitig wird zum Beispiel die Krankenhausfinanzierung zum Nachteil der Kommunen neu geregelt: Die Erhöhung des Kommunalanteils bei den Krankenhausinvestitionen um 20 Prozentpunkte führt allein in 2007 zu kommunalen Mehrbelastungen in Höhe von 102 Mio. Euro.

Rüttgers, der sich noch bei seiner Wahl zum Ministerpräsidenten als Arbeiterführer feiern ließ, schleift die Arbeitnehmerrechte in einem bis dahin noch nicht gekanntem Ausmaß. Während das Land Hessen ein Tariftreuegesetz einführt, wird es in NRW abgeschafft. Damit können nun auch Unternehmen öffentliche Aufträge erhalten, die tarifliche Vereinbarungen unterlaufen. Mit der Änderung des Landespersonalvertretungsgesetzes (LPVG) hat die Landesregierung die Mitbestimmungsrechte im öffentlichen Dienst massiv beschnitten; insbesondere was die Mitsprache bei Versetzungen und Arbeitsbedingungen betrifft. Auf Bundesebene gehört die Landesregierung zu denjenigen, die die Einführung von Mindestlöhnen blockieren.

Bei bloßen Ankündigungen bleibt es auch in der Haushalts- und Finanzpolitik. Seit 2005 ist der Schuldenstand um sieben Mrd. Euro gewachsen. Von Schuldenabbau also keine Spur. Und das, obwohl der Finanzminister seit Regierungsantritt über acht Mrd. Euro mehr an Steuereinnahmen verfügt.

Nichts als Ankündigungen und warme Worte auch in der Wirtschafts- und Strukturpolitik. In seiner ersten Regierungserklärung im Jahre 2005 versprach der Ministerpräsident ein Zukunftsinvestitionsprogramm Ruhr. Darauf warten wir bis heute. Stattdessen ruht sich die Landesregierung auf den strukturpolitischen Erfolgen der SPD-Geführten Vorgängerregierung aus. Eigene Projekte und Impulse Fehlanzeige. Aber wozu denn auch? Der Strukturwandel wurde schließlich von Wirtschaftsministerin Thoben bereits für beendet erklärt. Gemeint hat sie allerdings: Mit CDU und FDP wird es keine aktive Begleitung des Strukturwandels im Ruhrgebiet mehr geben.

Zweieinhalb Jahre nach Regierungsübernahme hat die CDU/FDP-Landesregierung gezeigt, wo ihre Prioritäten liegen: Privat vor Staat und Markt statt Mensch. Eine Politik über den Köpfen der Menschen, statt mit ihnen gemeinsam. Jegliche Kritik, und kommt sie auch aus den eigenen Reihen, wird beiseite gefegt. Es bleibt bei großen Worten und Symbolik. Inszenierung statt Inhalt, lautet das Credo dieser Landesregierung. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen haben mehr verdient.

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Zur Halbzeitbilanz der Landesregierung hat die SPD-Landtagsfraktion zwei Broschüren mit dem Titel "Halbzeitbilanz" und "Pannen, Pleiten, Peinlichkeiten". Diese stehen hier zum Download bereit:

  • Broschüre Halbzeitbilanz
  • Broschüre Pannen, Pleiten, Peinlichkeiten

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    Die aktuelle Gesamtausgabe gibt es hier:

  • Severiner 3/2007