Gewalt ist männlich

Von THOMAS EMONS Als Sozialarbeiter, Juristen und Politiker am Dienst im Forum der Volkshochschule über Jugendkriminalität diskutierten, konnten sie nicht wissen, wie aktuell das Thema war. Die fatalen Folgen eines Fluchtversuchs von zwei jungen Einbrechern in Heißen (die NRZ berichtete) waren ihnen da noch nicht bekannt. Die Diskussion, zu der die SPD eingeladen hatte, fand immerhin 100 Zuhörer und hinterließ bei ihnen nach zwei Stunden den Eindruck, Klartext gehört zu haben.

Vor allem Jugendrichter Gerd Richter beeindruckte mit seiner Offenheit. Er sprach von einer zunehmenden sozialen Verwahrlosung junger Intensivtäter. Die Ursachen dafür sieht er in einem massiven Versagen der Eltern, aber auch der Gesellschaft insgesamt. Sein Vorschlag: Für diese Intensivtäter seien geschlossene Erziehungseinrichtungen zu schaffen, in denen sie durch personalintensive pädagogische Zuwendung und Ausbildung wieder auf den rechten Weg zurückgebracht werden könnten. Richter machte aber auch deutlich, dass es sich um eine vergleichsweise kleine Personengruppe handele, die unter den jugendlichen Straftätern nur einen Anteil von zwei Prozent ausmache. Im Bundesdurchschnitt kommen sechs Prozent der Jugendlichen mit dem Gesetz in Konflikt. Ihre Mehrheit ist männlich und schlecht ausgebildet.

Rechtsanwalt und Landtagsabgeordneter Thomas Kutschaty unterstrich, dass die Verfahren gegen Jugendliche Straftäter beschleunigt werden müssten. Gerade bei ihnen müsse die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen. Dies funktioniere aber nur dann, wenn man in der Justiz keine Stellen abbaue. Andrea Sandforth vom Kommunalen Sozialen Dienst stellte Zahlen zur Jugendkriminalität vor (siehe Kasten) und berichtete von ersten Erfahrungen mit einem Täter-Opfer-Ausgleich, bei dem junge Intensivtäter in einem von Fachleuten moderierten Gespräch mit ihren Opfern konfrontiert würden. Beim Thema Vorbeugung forderte nicht nur Sandforth, mehr Geld in zwangsläufig personalintensive soziale Frühwarnsysteme zu investieren, um gefährdeten Familien rechtzeitig unter die Arme greifen zu können.

Einig waren sich Richter und Kutschaty, dass unser Bildungs- und Wirtschaftssystem "zu viele Verlierer produziert." Er habe, so Richter, Jugendliche kennen gelernt, die 99 Bewerbungen geschrieben und keine einzige Antwort bekommen hätten. "Früher", so Richter, "haben sich die Meister noch um jeden Jugendlichen gekümmert. Heute erwarten Unternehmen, dass junge Leute bereits alles können. Wer auf 99 Bewerbungen keine einzige Antwort bekommt, wird sich auch nicht mit dieser Gesellschaft solidarisieren."

Günter Stolz, Leiter des Gerhard-Tersteegen-Institutes, das in Mülheim mit der Zinkhütte ein Betreuungsangebot für obdachlose Jugendliche unterhält, machte deutlich, dass jeder Fall von Jugendkriminalität seine Geschichte habe. Junge Intensivtäter kämen oft aus zerrütteten Familienverhältnissen und hätten einen langen Leidensweg mit Vernachlässigung, sexuellem Missbrauch, Schulverweigerung und Drogenproblemen hinter sich. Erfolgreich könne Erziehungs- und Sozialarbeit mit jungen Straftätern nur dann sein, wenn sie therapeutisch begleitet werde.

  • Quelle: Neue Ruhr Zeitung / DerWesten.de