Neue Verkehrsregeln für die internationalen Finanzmärkte

Auslöser der Finanzkrise war das Platzen der US-Immobilienblase in Verbindung mit großen Ausfällen bei ungenügend gesicherten Hypothekenkrediten an Schuldner mit geringer Bonität (die so genannten „subprimes“). Hier zeigt sich das Versagen einer wenig verantwortungsvollen Kreditvergabe. Diese Kredite wurden mit „guten“ Krediten vermischt und zu neuen Paketen zusammengestellt. Mögliche Ausfallrisiken konnten damit nicht mehr überblickt werden. In der Folge sind eine Reihe von Finanzinstituten in schwere Krisen geraten. In Deutschland wurden frühzeitig Rettungsaktionen für die IKB und die Sachsen LB gestartet. Es ist gelungen, einen weitergehenden Schaden für den Finanzplatz Deutschland zu vermeiden.

Die in Deutschland nötigen Aktivitäten (die bisherigen Stützungsmaßnahmen des Bundes über die KfW bei der IKB in Höhe von 1,2 Mrd. Euro sowie einer Bürgschaft von 600 Mio. Euro, deren Fälligkeit unwahrscheinlich ist) betragen nur einen Bruchteil des Volumens, das in den USA aufgewendet werden muss: dort müssen über eine Billion US-Dollar Schulden aufgenommen werden, um die Krise zu bewältigen.

Die Ursachen für die gegenwärtige Finanzkrise liegen jedoch tiefer. Die Finanzmärkte haben sich von der Realwirtschaft abgekoppelt. Was wir erleben, ist ein fundamentales Marktversagen auf den Finanzmärkten, dem ein ganzes Ursachenbündel zugrunde liegt, wie beispielsweise:

  • Der Verzicht auf Verkehrsregeln für weite Bereiche der Finanzwirtschaft.
  • Die Erwartung der Finanzmärkte nach Renditen von 25 Prozent und mehr, die nachhaltig nicht zu erwirtschaften sind und auf Kosten der Substanz von Unternehmen und der Beschäftigten gehen. Die einseitige Orientierung am Shareholder Value, also der Aktienwertsteigerung des Unternehmens, verhindert Investitionen und Realkapitalbildung und somit Wachstum und Beschäftigung.
  • Das Rattenrennen nach Rendite wurde beschleunigt durch immer waghalsigere Finanzprodukte und Wetten auf zukünftige Entwicklungen.
  • Falsche Anreize für die Akteure auf den Finanzmärkten und die Bezahlung von Bankern und Managern
  • Die Rolle von Ratingagenturen bei der Risikobewertung, die bedeutete, den Bock zum Gärtner
    zu machen.

    Die eigentliche Funktion der Finanzmärkte – die Versorgung von Unternehmen mit Liquidität, damit diese investieren können und Arbeitsplätze schaffen und erhalten – ist so in den Hintergrund getreten.

    Die USA tragen eine zentrale Verantwortung für die Krise

    Die USA sind der Ursprungsort und der eindeutige Schwerpunkt der Krise. Darum müssen sie auch die zentrale Verantwortung für die Bewältigung der Krise tragen. Die USA waren der Bremsklotz bei unseren Bemühungen der letzten Jahre, mehr politische Vernunft walten zu lassen. Nun stehen wir vor einer politischen Wende. Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren. Das Weltfinanzsystem wird multipolarer.

    Überlegenheit der Sozialen Marktwirtschaft

    Die aktuelle Krise zeigt: das System der Sozialen Marktwirtschaft mit seinem Universalbankensystem und seinen drei Säulen der privaten Geschäftsbanken, der kommunalen Sparkassen und der regionalen Genossenschaftsinstitute ist dem angel-sächsischen Kapitalismus überlegen. Strukturen, die auf langfristiges Wachstum und nicht allein auf die schnelle Superrendite ausgerichtet sind, werden weltweit wieder auf neues Interesse stoßen. Der Neoliberalismus und ungezügelte Finanzmärkte nach amerikanischem Vorbild sind Geschichte.

    Bewältigung der aktuellen Finanzmarktkrise

    Nötig sind mittel- und langfristig Maßnahmen, um die Finanzmärkte wieder auf ihre eigentliche Funktion, die Versorgung mit Liquidität, zu reduzieren. Aktuell von großer Bedeutung ist das konkrete Krisenmanagement. Ob das Rettungspaket in den USA aufgelegt wird, ist noch unklar. Es handelt sich dabei um eine Entscheidung der Amerikaner, die notwendig sein kann, damit die
    benötigte Liquidität bereitgestellt und die Krise eingedämmt wird. Die USA können jetzt nicht für ihr Versagen und ihre Arroganz Deutschland in Haftung nehmen. Zwar sind Auswirkungen auf die Realwirtschaft auch in Deutschland möglich. Bislang hat sich das deutsche Bankensystem aber als relativ stabil erwiesen, wozu auch die dreigliedrige Struktur beigetragen hat.

    Unser Ziel: Zivilisierung der Finanzmärkte

    Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sagen ganz deutlich: Finanzmärkte haben eine dienende Funktion. Sie müssen das Funktionieren der Wirtschaft, die Versorgung mit Kapital gewährleisten. Rendite ohne jeden Bezug zur Realwirtschaft durch immer höheres Risiko und immer gewagtere Finanzprodukte widersprechen diesem Ziel. Denn Rendite geht zwangsläufig zu Lasten von Transparenz, Stabilität und Verlässlichkeit. Höhere Rendite bedeutet höhere Risiken. Für uns kommt es bei allen Regelungen nicht nur auf die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte und ihrer Finanzstandorte an. Von zentraler Bedeutung sind die Auswirkungen der Finanzmärkte auf die betriebliche und gesamtgesellschaftliche Ebene. Zu ihrer Regulierung stehen für uns drei Prinzipien im Vordergrund:

  • Erhalt und Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung,
  • Stärkung von Transparenz und bessere Regulierung der Finanzaktivitäten sowie eine
  • gerechte Besteuerung der Akteure auf den Finanzmärkten.

    Wir Sozialdemokraten sind Vorreiter für eine Zivilisierung der Märkte.

    Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben frühzeitig die Initiative ergriffen. Peer Steinbrück hat seine Transparenzinitiative bereits auf dem G7-Treffen in Anfang 2007 in Essen vorgestellt. Konservative und Liberale in England und den USA, aber auch in Deutschland haben sich stärkerer Transparenz und Regulierung lange widersetzt. Wenn sich Bundeskanzlerin Merkel nunmehr als Verfechterin einer verstärkten Regulierung ausgibt, werden wir sie beim Wort nehmen, und auch Taten einfordern!

    Bei der Regulierung müssen wir von oben nach unten ansetzen. Zuallererst sind regulierende Maßnahmen notwendig, die weltweit gelten. Auf der nächsten Ebene brauchen wir europäische Maßnahmen und erst dann kommt die nationale Ebene.

    International: Bereits kurz nach Beginn der Finanzmarktturbulenzen hat Deutschland im September 2007 das Forum für Finanzmarktstabilität (FSF) gebeten, eine Analyse und vor allem
    Empfehlungen vorzulegen, wie ähnliche Krisen in Zukunft verhindert werden können. Inzwischen hat die Umsetzung der Empfehlungen gute Fortschritte gemacht. Die vom FSF ausgearbeiteten 100-Tage-Prioritäten sind weitgehend umgesetzt. Sie umfassen wichtige Maßnahmen wie zum Beispiel die Offenlegung der Risiken durch die Banken, die Vorlage einer überarbeiteten Leitlinie für das Liquiditätsmanagement durch den Baseler Bankenausschuss sowie die Überarbeitung des Verhaltenskodex für Rating-Agenturen durch die IOSCO. In Kürze – beim Treffen der G7 Finanzminister und Notenbankgouverneure in Washington DC im Oktober – werden wir einen umfangreichen Bericht über den Stand der Umsetzung der FSF-Empfehlungen erhalten. Gleichzeitig werden wir beraten, welche weiteren Maßnahmen ergriffen werden müssen – unter anderem durch eine verbesserte Zusammenarbeit von IWF und FSF als „Frühwarnsystem“, wie wir das jüngst vorgeschlagen haben.

    Europa: Auch in der EU setzt sich Deutschland schon seit mehreren Jahren energisch und erfolgreich für eine Stärkung der Finanzstabilität ein. Nach Ausbruch der Finanzkrise im Bankensektor vor einem Jahr hat der ECOFIN-Rat am 9. Oktober 2007 ein Arbeitsprogramm zur Stärkung der Effizienz und Stabilität der internationalen Finanzmärkte beschlossen. Diese sog. „ECOFIN Roadmap“ enthält zahlreiche Maßnahmen, um Schwachstellen der internationalen Finanzmärkte zu beseitigen.

    Deutschland: In Deutschland hat das das 3-säulige Universalbankensystem in der aktuellen Krise eine besonders wichtige Stabilisierungsankerfunktion übernommen. um mehr Rationalität in den Finanzmarkt zu bringen und um den Risiken entgegenzuwirken, die mit Finanzinvestitionen für Unternehmen und Gesamtwirtschaft einhergehen, hat die Bundesregierung vor einigen Monaten das so genannte Risikobegrenzungsgesetz eingeführt. Wir wollen damit die Transparenz, Klarheit und Rechtssicherheit auf dem Kapitalmarkt erhöhen. Wir wollen, dass der Einfluss, den Investoren alleine oder gemeinsam auf Unternehmen ausüben, in Übereinstimmung mit ihrem Stimmrechtsanteil steht.

    Wir wollen verhindern, dass leistungsfähige Unternehmen durch die übermäßige Belastung mit Krediten ausgeplündert werden und wir wollen verhindern, dass zukunftsfähige Unternehmen alleine aus kurzfristigen Renditeerwägungen zerschlagen werden. Und wir wollen, dass vor allem diejenigen, die in der Regel als erste negativ von Übernahmen betroffen sind – also nicht die Manager, die sich nach erfolgter Übernahme mit mehr als auskömmlichen Abfindungen aus ihrem Unternehmen verabschieden, sondern die Belegschaften mit ihren Arbeitsplätzen – in die Lage versetzt werden, frühzeitig auf eine mögliche Übernahmen zu reagieren. Dabei kommt der Mitbestimmung eine große Bedeutung zu.

    Unsere Perspektive

    Die SPD hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück eingesetzt, die Ende Oktober ihre Ergebnisse vorlegen wird. An strengeren Auflagen zur Transparenz bei Spekulationsgeschäften führt kein Weg vorbei. Die europäischen Finanzmärkte sollen zu einem stabilisierenden Faktor einer produktivitätsorientierten europäischen Wirtschaft im Dienste der Menschen gemacht werden. An strengeren Auflagen zur Transparenz bei Spekulationsgeschäften führt kein Weg vorbei. Dazu gehört zumindest auch die Stärkung der Koordination der nationalen Finanzaufsichtsbehörden.

    Neben der Verbesserung der Eigenkapitalanforderungen einschließlich Mindesteigenkapitalanforderungen und der Überprüfung der Bilanzierungsregeln, soll in den Rating-Agenturen die Bewertungspraxis vom Beratungsgeschäft getrennt werden. Darüber hinaus unterstützen wir die Vorschläge der EU-Kommission für eine Regulierung der Rating-Agenturen. Selbstverpflichtungen der Finanzmarktinstitutionen sind hier nicht ausreichend. Kreditrisiken müssen künftig besser abgesichert sein, indem Rating-Agenturen und Banken für finanzielle Schäden haftbar gemacht werden können.

    Wir müssen die Rolle der Betriebsräte stärken und die übermäßig fremdkapitalfinanzierten Unternehmensübernahmen steuerlich weniger attraktiv machen.