Anwachsen des Rechtsextremismus muss entschlossen und wirksam bekämpft werden!

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Wir haben als SPD-Fraktion diesen Tagesordnungspunkt beantragt, weil die Vorlage des Verfassungsschutzberichts uns sehr in Sorge versetzt hat, was die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten und die Entwicklung in diesem Bereich anbelangt. So ist die rechte Kriminalität im letzten Jahr um mehr als 11 % gestiegen, die Gewaltkriminalität von Rechten sogar um über 25 %. Wir haben deutlich mehr Körperverletzungen zu registrieren, und bei 3.349 Delikten – jeden Tag zehn rechtsextreme Straftaten in Nordrhein-Westfalen – stehen diesen Delikten im Jahre 2008 nur 256 ermittelte Tatverdächtige gegenüber. Die Mehrheit davon – zwei Drittel – sind Jugendliche und Heranwachsende.

Meine Damen und Herren, die Entwicklung ist nicht neu. Seit 2001 beobachten wir stetig steigende Zahlen im rechtsextremistischen Gewaltspektrum, und auch gerade das ist besonders besorgniserregend.

Aber, was sagen uns die Zahlen, was sind das für Phänomene? Insbesondere müssen wir uns hier ja auch die Frage stellen lassen: Was können wir dagegen tun, was müssen wir sogar dagegen tun? Drei Besonderheiten möchte ich erwähnen, die beim derzeitigen Stand und bei der Auswertung des Verfassungsschutzberichts aufgefallen sind:
Die erste Besonderheit ist die deutliche Zunahme der Gewaltbereitschaft unter Rechten. Die Zunahme der Körperverletzungen deutet darauf hin, dass die bisherige Strategie der rechten Parteien, bürgerlicher aufzutreten, bei einem Großteil der Anhängerschaft so nicht akzeptiert wird, insbesondere bei Jugendlichen nicht, die sich in freien Kameradschaften und sogenannten autonomen Nationalisten zusammentun, auf die Straße gehen und rumprügeln.

Die Konfrontation mit dem politischen Gegner wird nicht mehr verbal, sondern ausschließlich gewalttätig gesucht. Hier hat sich gerade die Anzahl der Gewaltdelikte mit über 33 % deutlich erhöht. Aber ich sage auch: Wer, politisch motiviert, prügelnd durch die Straßen rennt, der hat die Grenzen zur Toleranz weit überschritten, und er muss auch mit strafrechtlichen Konsequenzen jeder Art rechnen.

Das zweite Problem, das wir haben, ist die doch alltägliche Präsenz des Rechtsextremismus in unserem Leben. Die größte Gefahr ist, glaube ich, die schleichende Normalisierung rechtsextremer Gedanken. Wir haben einer relativ jungen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung entnehmen können, dass 3,7 % der deutschen Bevölkerung, repräsentativ befragt, die Diktatur für eine akzeptable Staatsform halten. 15 % der deutschen Bevölkerung haben einen nationalen Überlegenheitsanspruch. 9 % denken antisemitisch, und 21,2 % haben ausländerfeindliches Gedankengut.

An diesen Ergebnissen lässt sich ablesen, dass Einstellungen, aus denen sich rechtes Denken und Handeln entwickeln kann, bei einem besorgniserregend hohen Anteil der deutschen Bevölkerung vorhanden ist. Über 20 % haben Vorurteile gegenüber Menschen anderer Kultur, 15 % fühlen sich als etwas Besseres, nur weil sie deutsche Eltern haben.

Nach diesen Untersuchungen finden wir rechtsextremes Gedankengut in allen Bereichen. Das ist kein ostdeutsches Problem allein, das ist hier im Westen genauso vorhanden. Das ist bei Frauen wie bei Männern vorhanden, bei Jungen und bei Alten, bei Kirchenmitgliedern und Gewerkschaftsmitgliedern. Das ist kein Randproblem, um das wir uns nicht zu kümmern brauchen, das Problem ist genau in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.

Die dritte Auffälligkeit – das hat der Innenminister bei der Vorstellung seines Verfassungsschutzberichtes mitgeteilt –: Rechtsextreme Parteien kommunalisieren sich, sie wollen in die Kommunalparlamente eintreten. Da haben Sie recht, das ist zutreffend. Es ist auch relativ leicht, Mandate und Sitze in kommunalen Parlamenten zu erlangen, entsprechend finanzielle Ausstattungen zu bekommen, um dann in kommunalen Parlamenten Propaganda machen zu können. Dieser Umstand erfüllt uns ebenfalls mit großer Sorge, insbesondere in diesem Zusammenhang die neu aufgetretene Bewegung „pro NRW“ – in Köln entstanden –, die jetzt auch landesweit bei Kommunalwahlen antreten will. Diese Organisation ist gerade deswegen so gefährlich, weil sie bieder und bürgerlich auftritt.

Die entscheidende Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen, lautet: Was können wir tun, was müssen wir tun? Dazu gibt es keine Patentrezepte; das sage ich vorweg. Rechtsextremismus ist ein vielschichtiges Problem. Aber zunächst ist eines wichtig, das wir heute in dieser Debatte festhalten können: Rechtsextremismus hat – darüber sind wir, meine ich, einer Auffassung – hat in unserer Gesellschaft und Demokratie keinen Platz.

Aber es gibt auch ganz einfache Mittel, mit denen wir etwas tun können. Rechtsextremistische Parteien haben ein relativ festes Stammwählerpotenzial. Das heißt, bei niedrigen Wahlbeteiligungen sind proportional die Ergebnisse und die Chancen rechtsextremer Parteien, Sitze in Stadträten zu bekommen, viel leichter und viel einfacher zu erreichen. So kann es doch nur Aufgabe eines jeden Demokraten sein – unabhängig von diesem Thema –, die Wahlbeteiligung möglichst hochzukriegen. Herr Innenminister, gerade vor diesem Aspekt bitte ich Sie, ernsthaft darüber nachzudenken, ob der Kommunalwahltermin richtig platziert ist.

Der zweite Bereich: Es wird immer wieder viel von Verboten gesprochen. Ich weiß, mit Verboten kann man rechtsextremes Gedankengut nicht aus den Köpfen der Menschen herausbekommen. Aber Verbote behindern doch erheblich die Aktivitäten von Vereinen, Organisationen und Parteien, und sie zeigen die Ächtung dieser Organisationen durch die Gesellschaft. Es kann nicht sein, dass derzeit Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit durch Steuergelder mitfinanziert werden. Ich halte das nicht nur für ein falsches Verständnis von Parteien- und Vereinsprivilegien, sondern auch für einen Skandal.

Müssen wir denn diejenigen, die unsere Demokratie abschaffen wollen, auch noch mit Steuermitteln finanzieren? Das muss nicht sein. Ich danke ausdrücklich dem Bundesinnenminister Schäuble, dass er jetzt nach langem Verfahren den Verein HDJ endlich verboten hat; wir haben das bereits im letzten Jahr hier gefordert.

Meine Damen und Herren, die wichtigste Aufgabe ist, das rechtsextreme Gedankengut aus den Köpfen der Menschen herauszubekommen. Dazu nur noch der eine oder andere Aspekt: Wir müssen dem Fach Politik und Demokratie wieder mehr Stellenwert in der Schule geben.

Wir brauchen eine vernünftige politische Bildungsarbeit, und die müssen wir mit ausreichend Mitteln versorgen. Die Landeszentrale für politische Bildung muss besser ausgestattet werden; sie macht gute Arbeit in Nordrhein-Westfalen.

Und, Herr Innenminister, drehen Sie den Kommunen bitte nicht die Luft ab! Sie brauchen finanzielle Mittel, um vernünftige Jugendarbeit vor Ort machen zu können. Auch das ist eine wirksame Maßnahme.

Schließlich, meine Damen und Herren, brauchen wir Zivilcourage und eine Kultur des Hinsehens in unserer Gesellschaft.

Wir haben zahlreiche Organisationen in Nordrhein-Westfalen, die sich mit diesem Thema sehr engagiert in runden Tischen vor Ort beschäftigen und Gegenstrategien entwickeln. Ihnen gebührt unser besonderer Dank.

Meine Damen und Herren, abschließend – darüber sind wir uns, meine ich, einig –: Rechtsextremismus gefährdet unsere Demokratie. Lassen Sie uns das Thema nach der heutigen Debatte bitte nicht wieder in die Schublade legen, bis der nächste Verfassungsschutzbericht kommt, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! Unsere Demokratie muss es uns wert sein. – Herzlichen Dank.