Spielerisch lernen, wie Politik funktioniert

„Darf ich um Ruhe bitten”, verschafft sich Bürgermeister Norbert Kleine-Möllhoff im Ratssaal Gehör, Die Gespräche nehmen ab. Gebannt blicken die Anwesenden zu ihm nach vorne: „Hiermit eröffne ich die Sitzung des Stadtrats”, bekundet der Bürgermeister, wohl wissend, dass vor ihm keine echten Mitglieder des Stadtparlaments versammelt sind, sondern rund 40 Schüler aus zwei elfer Pflichtkursen Sozialwissenschaften der Gesamtschule Nord. Den Schülern aus Vogelheim ermöglicht die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) kurz vor den Wahlen, an drei Tagen spielerisch politische Entscheidungsprozesse und Strukturen vor Ort im „Planspiel Kommunalpolitik” kennen zu lernen.

Für Ebru Eken ist die Politik im Stadtrat ein ganz neues Terrain: „Ich wusste nicht, was eine Kommunalwahl ist, wer da gewählt wird und wie das ganze abläuft.” Im Unterricht hat sich die 18-Jährige mit ihrer Klasse auf das Planspiel vorbereitet und gelernt, dass Kommunalpolitik direkten Einfluss auf das hat, was in ihren Stadtteil passiert – für sie ein Grund mehr darüber erfahren zu wollen: „Ich will wissen, was in Vogelheim los ist. Als damals der Computainer neben unserer Schule aufgebaut wurde, hat mich das interessiert. Da wusste ich aber noch nicht, dass vorher Politiker darüber entschieden haben.”

So wie Ebru geht es vielen in ihrer Jahrgangsstufe: „Die politische Vorbildung ist bis auf ein paar Ausnahmen bei fast allen sehr gering. Viele dürfen nicht wählen, weil sie keinen deutschen Pass haben”, verdeutlicht Sowi-Lehrer Dieter Loebe. Doch der Zustand soll sich ändern: „Vieles was die Jungs und Mädels bewegt findet hier vor Ort im Rat oder in der Bezirksvertretung statt. Sie fragen sich, wer verantwortlich ist, dass ein Schwimmbad geschlossen wird und wer bestimmt, ob ein neuer Sportplatz gebaut wird. Mit‘ dem Planspiel wollen wir den Jugendlichen zeigen, dass Politik Spaß macht und sie etwas verändern können, wenn sie sich hier für ihre Ziele stark machen”, so SPD-Landtagsabgeordneter Thomas Kutschaty, der das Planspiel an der Gesamtschule Nord initiiert hat.

Die FES-Referenten David Krahnenfeld und Judith Helmer, beide nicht viel älter als die Schüler selbst, erklären zu Beginn die Grundlagen der politischen Strukturen in der Stadt und die Arbeitsweise der Stadtverwaltung. „Ihr seid alle schon einmal über einen kommunalen Bürgersteig gelaufen. Die Politiker sorgen dafür, dass er gebaut wird. Die Verwaltung hält ihn in Schuss und weist auf Mängel hin”, so Helmer.

Im weiteren Verlauf des Planspiels schlüpfen die Schüler in die Rolle fiktiver Ratsleute, organisieren sich in Fraktionen und bereiten Anträge für eine gestellte Ratssitzung vor: Hilfe gibt’s dabei von echten Volksvertretern aus dem Rat, etwa von den Oberbürgermeister-Kandidaten Reinhard Paß von der SPD, Franz-Josef Britz (CDU) und Hiltrud Schmutzler-Jäger von den Grünen.

Auch Ratsherr Markus Renner von der Linkspartei steht den jungen Leuten zur Seite und gibt Tipps „Sie wollen in ihrem Antrag den Neubau eines Multifunktionssportplatzes in Vogelheim fordern. Ich helfe ihnen dabei, ihre Ideen im Antrag zu formulieren.”

Damit ihre eigene Stadtratssitzung der realen ähnelt, besuchen die Jugendlichen zuvor eine echte Ratssitzung. Dort müssen sie im Besucherraum Platz nehmen. Damit sie besser verstehen, worum es in der Tagesordnung geht, gibt’s Unterstützung von Oberbürgermeister-Wolfgang Reiniger: „Ich bitte um Rücksicht auf unsere Gäste. Daher wird einiges detaillierter erklärt.” Ebru Eken freut das: „Ich finde es gut, dass der Oberbürgermeister uns begrüßt hat und einige Dinge extra für uns erklärt hat. So fühle ich mich ernst genommen.”

Bei ihrer eigenen Sitzung dürfen die Jugendlichen selbst auf den Ledersesseln der echten Ratsleute Platz nehmen und über Themen, die ihnen wichtig sind, debattieren.

Marc Sesko stellt als Fraktionsvorsitzender der CDU den Antrag seiner Fraktion vor: „Wir fordern, dass neue Parks und Spielplätze im Essener Norden angelegt werden und die bereits bestehenden erneuert werden." Viele Spielplätze entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen. Außerdem gibt es hier nur wenige.” Dem können sich die Schüler aus der Fraktion der Grünen anschließen. Sie fordern selbst einen Spielplatz an der Hafenstraße.

Dem 18-jährigen macht der „Job” als Fraktionschef der CDU sichtlich Spaß, sodass selbst sein Pendant Franz-Josef-Britz als Zuschauer ein Lob ausspricht: „Der Junge macht seine Arbeit wirklich sehr gut.” Neben Anträgen haben die Schüler auch Anfragen an die Stadtverwaltung erarbeitet: „Wie sieht die Situation der Bäder Hesse und Borbeck bezüglich der Zuschüsse der Stadt, der Einnahmen und der Renovierungskosten aus?”, will etwa die Jugend-Fraktion der Liberalen wissen.

Besonders gut vorbereitet ist die Jugend-Fraktion der Grünen. Sie hat gleich drei Anfragen an die Verwaltung erarbeitet Hilfe gab’s von Hiltrud Schmutzler-Jäger, Fraktionschefin der Grünen im Rat und OB-Kandidatin: „Ich bin sehr zufrieden mit der Fraktion. Sie hat in einer Anfrage sogar die Verwaltung darauf hingewiesen, dass bei der Schweinegrippe realer Handlungsbedarf besteht und im Fall der Fälle ein mehrsprachiger Flyer für die Bevölkerung parat stehen muss. Das haben sich die Herren aus der Verwaltung notiert und den Schülern dafür ein Lob ausgesprochen.”

Mark Sesko ist mit dem Planspiel sehr zufrieden: „Ich habe gelernt, wie Anfragen und Anträge gestellt werden und dass man nicht auf die Stadtverwaltung verzichten kann. Als Fraktionsvorsitzender hat man schon einen interessanten Job, auch wenn es manchmal unlogisch ist, wenn Anträge abgelehnt werden.” Bei der Kommunalwahl am 30. August will sich der Schüler auf jeden Fall beteiligen: „Kommunalpolitik ist schon spannend, wenn man sich damit auseinandersetzt.” Pascal Hesse

Quelle: Borbecker Nachrichten