Sehr geehrte Damen und Herren!
lassen sie mich bitte (ebenfalls) zunächst mit einem "Herzlichen Willkommen“ an unsere ukrainischen Gäste beginnen. Es ist mir als Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen eine besonders große Freude und Ehre, sie zu der heutigen Ausstellungseröffnung hier im Landgericht Essen begrüßen zu dürfen. Es verdient besondere Anerkennung, dass Sie die Strapazen der Reise auf sich genommen haben, um die Ausstellung mit Ihrer Anwesenheit und ihren Lebenserfahrungen zu bereichern.
Nichts macht die Geschichte der Verfolgung in der NS-Zeit lebendiger als die Erinnerungen und Schilderungen derjenigen, die dies selbst erlebt und insbesondere durchlitten haben. Viele von Ihnen werden in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld die Erfahrung gemacht haben – oder können zumindest gut nachvollziehen -, welchen nachhaltigen Eindruck die lebhaft geschilderten Verfolgungsgeschichten und Lebensschicksale von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gerade bei jungen Menschen hinterlassen. Wir haben in der heutigen Zeit noch das große Glück, von – wenn auch nur noch – wenigen Zeitzeuginnen gleichsam aus erster Hand geschildert zu bekommen, wie sich der beschwerliche Alltag ukrainischer Zwangsarbeiterinnen während der NS-Herrschaft tatsächlich gestaltete und welche "Risse", welche "Wunden und Narben" die nationalsozialistischen Zwangsmaßnahmen bei ihnen verursachten und hinterließen.
Wir sind sehr dankbar dafür, dass sie den Weg zu uns gefunden haben und uns an ihrem persönlichen "Riss durchs Leben" und damit an ihrer Lebens- und Leidensgeschichte teilhaben lassen.
Anrede,
sich an das Unrecht der nationalsozialistischen Herrschaft zu erinnern, hat in der nordrhein-westfälischen Justiz inzwischen eine lange und gefestigte Tradition.
Wir verdanken es meinem erst kürzlich verstorbenen Amtsvorgänger Dr. Rolf Krumsiek, bereits vor mehr als zwanzig Jahren – nämlich im Jahre 1988 – erkannt zu haben, dass es der Justiz gut anstehen würde, ihre Verstrickungen in den NS-Unrechtsstaat aus eigener Kraft und Initiative aufzuarbeiten und dies nicht allein den Forschungen der Historiker in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu überlassen. Wir selbst standen und stehen als Justiz in der Verantwortung, die Erinnerung an das begangene und erlittene Unrecht bei den nachfolgenden Generationen wachzuhalten, insbesondere auch den Opfern ein Gesicht und einen Namen zu geben.
Aus dieser Erkenntnis heraus ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht nur innerhalb der Justiz Nordrhein-Westfalens eine äußerst lebhafte Erinnerungskultur entstanden. Mit der Dokumentations- und Forschungsstelle "Justiz und Nationalsozialismus" hat Nordrhein-Westfalen an der Justizakademie des Landes eine bundesweit in dieser Form einzigartige Einrichtung geschaffen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, insbesondere jungen Justizmitarbeiterinnen und –mitarbeitern die Verfolgungsgeschichte der nationalsozialistischen Zeit zu vermitteln. Es ist wichtig, Juristinnen und Juristen nicht nur das unentbehrliche Fachwissen angedeihen zu lassen, sondern auch den Menschen in der Robe und die Persönlichkeitsbildung gerader junger Juristen in den Blick zu nehmen.
Viele Juristen sind nach dem 30. Januar 1933 nicht primär fachlich, sondern in erster Hinsicht menschlich gescheitert. Die Verstrickungen in den NS-Unrechtsstaat gingen häufig mit Gleichgültigkeit, Opportunismus und einem nicht ausreichend fundierten Demokratieverständnis einher – vor menschlichen Schwächen schützt das erworbene Fachwissen nur begrenzt.
Unser Ziel, den Rechtsfrieden in der Gesellschaft zu sichern und Gerechtigkeit durchzusetzen, verlangt auch heute tagtägliche Anstrengungen und den unermüdlichen Arbeitseinsatz eines jeden Einzelnen in der Justiz. Mir ist es daher wichtig, dort Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu wissen, die sich den geschichtlichen Geschehnissen stellen und die hieraus gezogenen Lehren in ihre tägliche Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einbringen.
Anrede,
die sogenannte "Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts" war erst im März dieses Jahres Thema eines rechtshistorischen Symposiums in der Justizakademie Recklinghausen. In diesem Zusammenhang spielte die Frage eine wesentliche Rolle, was die Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik Deutschland geleistet oder versäumt haben, wenn es um die materielle Wiedergutmachung des NS-Unrechts ging.
So beschäftigten Fragen der Rückerstattung entzogenen Vermögens und der Entschädigung Verfolgter die Nachkriegsjustiz intensiv bis weit in die 1980er Jahre hinein. Erst vor wenigen Jahren wurde die Frage der "Zwangsarbeiterentschädigung" einer politischen Lösung zugeführt und die Problematik der sogenannten "Ghettorenten" ist bis heute ein aktuelles sozialgerichtliches Thema. Vor diesem Hintergrund ist es sicherlich noch nicht die Zeit für abschließende Bewertungen. Ich begrüße es aber außerordentlich, dass auch diese Thematik mit der Ausstellung "Riss durchs Leben – Erinnerungen ukrainischer Zwangs-arbeiterinnen im Rheinland" eine inhaltliche Fortsetzung findet.
Anrede,
ich danke dem Landschaftsverband Rheinland, dem Verein "Justiz und Kultu" in Essen, dem Verein "Juristische Gesellschaft Ruhr", dem Verein "Haus Kolksbruch" und selbstverständlich Ihnen – Frau Dr. Anders – sowie den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landgerichts Essen, die (sie) alle zum Gelingen dieser Ausstellung beigetragen haben. Als jemand, der in der Stadt Essen seit Geburt fest verwurzelt und juristisch tätig gewesen ist, sehe ich die hiesigen rechtshistorischen und verfolgungsgeschichtlichen Bemühungen mit großer Freude und hohem Respekt.
Ich wünsche der Ausstellung sowie ihrem Begleitprogramm in den kommenden Wochen zahlreiche interessierte Besucher.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.