Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
als sich meine Heimatstadt Essen im Jahre 2001 unter dem Motto "Essen für das Ruhrgebiet" um die Kulturhauptstadt Europa 2010 bewarb, gab es viele Zweifler, die der Region diesen Titel nicht zutrauten. Wie konnte eine von der Industrieepoche geprägte Region, mitten im schwierigsten Strukturwandel, den Mut aufbringen, gegen Städte wie Köln, Lübeck, Regensburg anzutreten? Ähnlich ist es wohl auch dem Projekt "Schattenkultur" ergangen: Der Strafvollzug gehört nicht zu den gesellschaftlichen Bereichen, die wir üblicherweise mit dem Begriff "Kultur" verbinden – Kriminalromane vielleicht einmal ausgenommen.
Nun – der Erfolg hat sowohl denjenigen Recht gegeben, die sich für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 eingesetzt haben, als auch denen, die das Projekt "Schattenkultur" ins Leben gerufen haben.
Damit ist für die Gefangenen viel in Bewegung gesetzt worden:
Jeder Mensch gewinnt durch künstlerische Betätigung – das gilt auch für Inhaftierte. Viele hatten bislang keine Anleitung zu kreativem tun gehabt. Aber jetzt entwickeln sie ungeahnte Talente und Fähigkeiten, die ihnen niemand, am wenigsten sie selbst, zugetraut hätte. Davon gibt das Programm zum Projekt "Schattenkultur" ein beredtes Zeugnis ab.
So wurde zum Beispiel unter Anleitung eines Künstlers eine Installation geschaffen, die eines Beuys würdig gewesen wäre:
Mit der Idee, die außergewöhnliche Architektur der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen mit langen Bahnen von Bettlaken zu behängen, um sie dort zu bleichen, erweckt das Kunstprojekt Alba die Illusion, menschliche Makel könnten wie solche auf der Wäsche leicht entfernt werden. Ich habe allerdings erhebliche Zweifel, ob der Ausspruch "Resozialisierung ist das Ausbleichen schwarzer Flecken auf nicht mehr weißen Westen" in ein Strafvollzugsgesetz übernommen werden kann.
Ich kann mir gut vorstellen, dass das Motto der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 "Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel" in einer Anstalt wie Schwerte dann praktisch wird, wenn dort Theaterstücke wie Woyzeck von Georg Büchner einstudiert und aufgeführt werden. Die Schauspieler werden nämlich jetzt an ihrer Schauspielkunst gemessen, weniger auf ihren Gefangenenstatus reduziert. Vielmehr werden sie als Persönlichkeiten mit besonderen Talenten und Ausdrucksmöglichkeiten wahrgenommen. Die Inszenierung eines solchen Theaterstückes macht aber auch noch etwas anderes deutlich: Es gibt innerhalb und außerhalb der Mauern engagierte und talentierte Menschen, die weit über das allgemeine Tagesgeschäft hinaus bereit sind, künstlerische Aktivitäten der Gefangenen zu fördern und zu unterstützen.
Für das Projekt "Schattenkultur" war das Alte Hafthaus Moers wirklich ein Glücksfall. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die hier präsentierten Bilder, Installationen und sonstigen Ausstellungsstücke in einer anderen Umgebung ebenso gut zur Geltung gekommen wären. Die Ausstellung selber ist ein Gesamtkunstwerk und hat deshalb ganz besonders anziehend auf die Öffentlichkeit gewirkt. Wie ich höre, sind mehr als 2.000 Besucher in die Ausstellung gekommen – die vielen Mühen haben sich also gelohnt.
Der Begriff der Nachhaltigkeit wird inzwischen schon sehr strapaziert – ich möchte ihn aber trotzdem erwähnen: Für die Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 hat sich von Anfang an die Frage gestellt: Was wird bleiben, was können wir übernehmen oder noch ausbauen, um den Wandel unserer Region weiter voranzutreiben? Übertragen auf das Projekt "Schattenkultur" heißt das:
Wie kann die Idee, die dahinter steht, wach gehalten werden? Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, denn ich bin der Überzeugung, dass kulturelle Aktivitäten für den Behandlungsvollzug eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.
Auf der Tagung zum Thema "Was kann Kulturarbeit für den Strafvollzug leisten" haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam mit Gästen aus dem Europäischen Ausland mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ihre Antwort, das Kultur unerlässlich ist, um dem Strafvollzug ein humanes Gesicht zu geben und die Gefangenen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken, teile ich und werde mein Augenmerk darauf richten, dass sich der Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen dieser Aussage verpflichtet fühlt.
Meine Damen und Herren,
als Bürger der Stadt Essen und des Ruhrgebiets bin ich stolz darauf, dass wir Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 geworden sind – als Justizminister bin ich stolz darauf, dass ein Projekt wie "Schattenkultur" im Strafvollzug Nordrhein-Westfalen möglich war.
Allen, die daran beteiligt waren, danke ich von Herzen. Bei der Vielzahl der Mitwirkenden muss ich mich notgedrungen auf den Projektleiter Herrn Pfarrer Volke, die künstlerische Leiterin Frau Lohbeck de Fabris und auf den Projektmanager Herrn Birr beschränken.
Bitte nehmen Sie meinen besonderen Dank auch stellvertretend für alle anderen Mitwirkenden entgegen.
Und ein ganz besonderer Dank gilt dem Künstler aus der JVA Moers-Kapellen, der im Rahmen des Graffiti-Projekts hier im Hafthaus zwei Werke geschaffen hat, die mich sehr beeindruckt haben und zwar so, dass sie inzwischen in meinem Ministerbüro in Düsseldorf hängen.