Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen grüße ich Sie ganz herzlich und danke Ihnen, lieber Herr Professor Düwell, für die Einladung zur diesjährigen Preisverleihung der Arnold-Freymuth-Gesellschaft. Die Justiz folgt dieser Einladung traditionell sehr gerne, geht es doch um die Verleihung eines Preises, der dem Andenken an einen außergewöhnlichen Juristen gewidmet ist.
Sein Name ist untrennbar verbunden mit dem Begriff der Zivilcourage: Arnold Freymuth, seinerzeit Richter am Oberlandesgericht Hamm und Senatspräsident am Kammergericht in Berlin. Seiner Überzeugung als Sozialdemokrat und Pazifist folgend ist er zu Zeiten der Weimarer Republik mutig für Freiheit und Gerechtigkeit eingetreten.
Besondere Verdienste für unseren demokratischen Rechtsstaat haben auch die bisherigen Preisträger des Arnold-Freymuth-Preises erbracht. Gedenken möchte ich an dieser Stelle dem im Januar dieses Jahres verstorbenen ehemaligen Justiz- und Finanzminister sowie stellvertretenden Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen Dr. Diether Posser, dem der Preis im November 1994 als Auszeichnung für sein Auftreten als "Anwalt des Rechtsstaats im Kalten Krieg" verliehen wurde. Sein Engagement für Bürgerfreiheit und Rechtsstaatlichkeit wie auch seine Verdienste für die Landespolitik und die politische Kultur in Nordrhein-Westfalen werden unvergessen bleiben.
Anrede,
nicht minder würdig in der Tradition Arnold Freymuths steht der heutige Preisträger Prof. Dr. Dr. h.c. Spiros Simitis, der sich in besonderer Weise auf dem Gebiet des Datenschutzes verdient gemacht hat. Ohne dem Laudator vorgreifen zu wollen, darf ich bemerken, dass Prof. Dr. Simitis maßgeblichen Anteil an der juristischen Herleitung und Ausgestaltung des Datenschutzrechts hat. Seine Kommentare zum Bundesdatenschutzgesetz und zur EG-Datenschutzrichtlinie gehören zur Grundausstattung eines jeden mit Datenschutz befassten – also auch meines – Hauses.
Anrede,
in der Vergangenheit mögen die Forderungen nach gezielter Stärkung und einem Ausbau des Datenschutzes mitunter als unbequem empfunden worden sein. Heute können wir es uns schlicht nicht leisten, der zunehmend intensiveren Datenverarbeitung im Zuge fortschreitender Technologisierung von Information und Kommunikation tatenlos zuzuschauen.
Der Einsatz moderner Informations- und Kommunikations¬systeme prägt inzwischen nahezu alle Bereiche unserer privaten und beruflichen Lebensgestaltung. Soziale Netzwerke im Internet erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Neueren repräsentativen Umfragen zufolge beläuft sich die Zahl der Nutzer allein in Deutschland auf 30 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Weltweit greifen über 400 Millionen Menschen auf das Netzwerk Facebook zu. In virtuellen Welten werden Kontakte gepflegt und Informationen aller Art ausgetauscht. Hierbei werden in erheblichem Umfang personenbezogene Daten erhoben, die nahezu dauerhaft im Netz abrufbar sein können. Eine Verknüpfung dieser und anderer verfügbarer Daten kann Aufschluss über die Persönlichkeit oder das Verhalten eines Einzelnen geben. Die Möglichkeit der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen steht im Raume.
Nach wie vor gilt es, das Bewusstsein gerade junger Menschen für einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Daten zu schärfen. Es besteht aber auch gesetzgeberischer Handlungsbedarf, um das informationelle Selbstbestimmungsrecht angesichts neuerer technischer Entwicklungen wirksam zu schützen. Die flächendeckende Erhebung von Geodaten durch den Anbieter des Internetdienstes "Google Street View" und die vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten mit anderen Daten sind ein Beispiel einer ernstzunehmenden Gefährdung dieses Rechts. Die heftige Kritik, die "Google Street View" hierzulande ausgelöst hat, belegt, dass die Menschen in unserem Lande erhebliches Misstrauen in den Schutz ihrer persönlichen Daten haben. Der Bundesrat hat darauf reagiert und in seiner Sitzung vom 9. Juli 2010 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes beschlossen, um einen gerechten Ausgleich der widerstreitenden Interessen von Betroffenen einerseits und Diensteanbietern und Nutzern andererseits herbeizuführen.
Bund und Länder sind sich darüber hinaus einig, dass auch der Beschäftigtendatenschutz umfassender und klarer als bisher geregelt werden muss. Datenmissbrauchsskandale wie die heimliche Überwachung von Arbeitnehmern in mehreren größeren Unternehmen haben zu erheblicher Verunsicherung der Beschäftigten geführt und deutliche Lücken im Datenschutz offenbart. Hinsichtlich des im September dieses Jahres von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfes, der insoweit einen ergänzenden Abschnitt im Bundesdatenschutzgesetz vorsieht, zeichnet sich allerdings noch erheblicher Abstimmungsbedarf ab. Ein Beschäftigtendatenschutzgesetz, das diesen Namen verdient, muss einen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten Informationsinteressen des Arbeitgebers und dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten schaffen. Dieses Ziel gilt es in wesentlichen Punkten weiterzuverfolgen.
Anrede,
weiteren Handlungsbedarf hat schließlich der Europäische Gerichtshof mit seinem Urteil vom 9. März dieses Jahres aufgezeigt. Er hat festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Organisation der Datenschutzkontrolle im nicht-öffentlichen Bereich gegen ihre Verpflichtungen aus der EU-Datenschutzrichtlinie verstoße. Die in den Bundesländern geregelte staatliche Aufsicht über die Kontrollstellen sei mit der Richtlinienvorgabe der völligen Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht nicht zu vereinbaren. Diese Rechtsauffassung haben Sie, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Simitis, seit jeher vertreten. Hieraus folgt nun für uns, dass der in Nordrhein-Westfalen für die Datenschutzkontrolle zuständige Landesbeauftragte für den Datenschutz nicht länger – wie es unser Datenschutzgesetz bislang vorsieht – der Fachaufsicht des Innenministeriums unterstehen darf. Die Landesregierung wird die Organisationsform des Landesbeauftragten – wie gefordert – so ausgestalten, dass er seine Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahrnehmen kann.
Anrede,
ich hoffe, eines deutlich gemacht zu haben: Die neue Landesregierung in Nordrhein-Westfalen sieht konkreten Handlungsbedarf für eine Verbesserung des Datenschutzes und wird alles daran setzen, das Recht aller Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung angemessen zu schützen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.