Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Diplomandinnen und Diplomanden!
Ich freue mich, heute zum ersten Mal in meiner Eigenschaft als Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hier bei Ihnen in Bad Münstereifel sprechen zu dürfen. Vielen Dank, Frau Dr. Dylla-Krebs, für Ihre freundliche Einladung, der ich gern nachgekommen bin.
So ist es mir ein besonderes Anliegen, mit meinem Besuch zu unterstreichen, wie wichtig die gute Ausbildung unseres Justiznachwuchses ist. Sie ist unabdingbar für die Zukunftsfähigkeit der Justiz in unserem Land.
Liebe Diplomandinnen und Diplomanden, dort wo andere ihren Urlaub verleben, eine Kur durchführen oder ihren Sonntagsausflug machen, haben Sie studieren dürfen. Dabei hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Stadt Bad Münstereifel als idealer Standort sowohl für die Fachhochschule für Rechtspflege, als auch für das Ausbildungszentrum der Justiz Nordrhein-Westfalen erwiesen. Die Stadt, ihre Bürgerinnen und Bürger, ihre Verwaltung und ihre politischen Verantwortungsträger haben diese Einrichtungen stets unterstützt. Hierfür darf ich stellvertretend Ihnen, sehr geehrter Herr Büttner, als Bürgermeister im Namen der Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen herzlich danken.
Anrede!
Im Jahr 2010 haben 83 Diplomandinnen und Diplomanden das Studium im Fachbereich Rechtspflege erfolgreich absolviert, 27 Diplomandinnen und Diplomanden aus Nordrhein-Westfalen sowie aus unseren Partnerländern Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen haben zudem das Studium im Fachbereich Strafvollzug erfolgreich abgeschlossen.
Für sie alle ist dieser Tag ein besonderer Anlass zur Freude. Sie haben auch allen Grund stolz zu sein. So haben Sie sich – trotz starker Konkurrenz – zunächst im Bewerbungsverfahren behauptet, anschließend Ihr forderndes fachwissenschaftliches Studium aufgenommen und letztendlich mehrmonatige Prüfungen abgeschlossen. Es verdient Anerkennung, wenn sich junge Menschen, in nur drei Jahren in hoch spezialisierten staatlichen Aufgabenbereichen zu berufsfertigen Verantwortungsträgern qualifizieren. Die akademischen Grade, die Ihnen gleich verliehen werden, haben Sie sich redlich verdient. Hierzu darf ich jedem einzelnen von Ihnen meine herzlichen Glückwünsche aussprechen.
Anrede!
Erlauben Sie, dass ich mich zunächst mit einigen Worten den Absolventinnen und Absolventen des Fachbereichs "Rechtspflege" zuwende.
Zum Verständnis der heutigen Stellung des Rechtspflegers möchte ich kurz zurückgehen zu den Reichsjustizgesetzen, die im Jahre 1879 in Kraft getreten sind. Diese Gesetze hatten zunächst ohne jede Ausnahme alle gerichtlichen Entscheidungen und Verfügungen dem Richter vorbehalten. Schon bald zeigte sich aber, dass der Richter hierdurch mit einer Vielzahl von Aufgaben belastet war, die nicht unbedingt von ihm selbst erledigt werden mussten.
Einen entscheidenden Schritt zu einer Entlastung der Richter brachte schließlich die Novellierung der Zivilprozessordnung von 1909, mit der die Zuständigkeit für die Kostenfestsetzung und für den Erlass des Vollstreckungsbefehls auf den sogenannten "Gerichtsschreiber" übertragen wurde. Hiermit übertrug man zum ersten Mal vom Richter wahrzunehmende Dienstgeschäfte zur eigenständigen Erledigung auf einen Dritten.
Nach dem ersten Weltkrieg kam es zu weiteren Entlastungsmaßnahmen. Richtungweisend war vor allem die preußische Entlastungsverfügung vom 28. Mai 1923. In ihr wurden erstmals Beamte, denen richterliche Geschäfte zur selbständigen Wahrnehmung übertragen waren, als "Rechtspfleger" bezeichnet.
Durch das Rechtspflegergesetz aus dem Jahre 1957 übertrug man schließlich dem Rechtspfleger zahlreiche Rechtsgebiete ganz bzw. verbunden mit Richtervorbehalten.
Langwierige Beratungen führten letztendlich am 01. Juli 1970 zu einem neuen Rechtspflegergesetz, das die Aufgabenbereiche der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger wesentlich erweiterte.
Seitdem sind die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger in den Bereichen der freiwilligen Gerichtsbarkeit – wie auch in vielen anderen Rechtsgebieten – mit der Wahrnehmung verantwortungsvoller Aufgaben betraut. Durch die Übertragung fester Aufgabenbereiche ist neben dem Richter ein selbständiges Organ der Rechtspflege entstanden, das bei seinen Entscheidungen nur dem Gesetz unterworfen und grundsätzlich sachlich unabhängig ist.
Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger finden ihren Einsatz in allen Gerichtsbarkeiten und bei den Staatsanwaltschaften. Bei den Amtsgerichten sind sie überwiegend im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Zwangsvollstreckung eingesetzt. Rechtssuchende Bürgerinnen und Bürger treffen mit hoher Wahrscheinlichkeit beispielsweise in den Grundbuchämtern, den Handelsregistern, den Nachlassgerichten, der Rechtsantragstelle eher auf eine Rechtspflegerin oder einen Rechtspfleger als auf eine Richterin oder einen Richter. Sie sind praktisch die Visitenkarte der Amtsgerichte.
Anrede !
Es steht für mich außer Frage, dass die Tätigkeit von Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern für eine moderne und leistungsfähige Justiz weiterhin unverzichtbar ist. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich das Berufsbild im Wandel der Zeit und unter veränderten Rahmenbedingungen einer Anpassung unterziehen muss und dass Aufgabenbereiche neue Ausrichtungen erhalten können.
Liebe Diplomandinnen und Diplomanden,
Sie werden nach einem harten Studium "ohne Schonfrist" ihre berufliche Tätigkeit als Fachjuristen unmittelbar aufnehmen dürfen. Dabei kommen Sie in der Zeit einer sehr angespannten Personalsituation in den gehobenen Justizdienst. Gleichwohl oder gerade deswegen lade Sie ausdrücklich ein, sich in den Prozess, unsere Justiz in Nordrhein-Westfalen zukunftsfähig zu machen, als junge Kolleginnen und Kollegen mit frischen Ideen konstruktiv einzubringen. Wir wollen das Thema Binnenmodernisierung wieder verstärkt in den Blick nehmen. Unser Ziel ist eine leistungsstarke und bürgerorientierte Justiz.
Im Rahmen der Binnenmodernisierung gilt es, die Zusammenarbeit und die Strukturen in den Gerichten und Staatsanwaltschaften zu verbessern. Dies setzt offene Information, Transparenz von Zielen und Entscheidungen sowie Mitgestaltungsmöglichkeiten für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter voraus. Ein ganz entscheidender Aspekt ist dabei die Qualität der Dienstleistungen der Justiz. Ziel muss es sein, auch bei knappen Ressourcen in angemessener Zeit qualitativ hochwertige Produkte zu erbringen. Fachliche Erkenntnisse hierzu liefern sachkundige Qualitätszirkel und Vergleichsringe. Die drei nordrhein-westfälischen Oberlandesgerichte in Düsseldorf, Hamm und Köln nehmen zurzeit gemeinsam mit vielen anderen Oberlandesgerichten sehr erfolgreich an einem bundesweiten Vergleichsring teil, in dem an Hand von Kennziffern länderübergreifend Aufbau- und Ablaufstrukturen miteinander verglichen werden. Ziel ist es, ein "Lernen vom Besseren" zu ermöglichen und sich erprobte Instrumente nutzbar zu machen.
Wir wollen unsere Justizstrukturen stärken und angemessen ausstatten, um eine möglichst bürgerfreundliche und effiziente Justiz zu bieten. Bürgernähe setzt voraus, dass die Justiz in der Fläche präsent bleibt. Zugleich ist dafür Sorge zu tragen, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und die Rechtspflege im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu stärken.
Anrede !
lassen Sie mich noch einige Worte an die Absolventinnen und Absolventen des Fachbereichs "Strafvollzug" richten.
Der Vollzug insgesamt ist ein Segment der Rechtspflege mit besonders hohem justizpolitischen Stellenwert. Inhaftierte aus verschiedenen Nationen mit ganz unterschiedlichen kulturellem Hintergrund, Suchtprobleme der Insassen – all dies lässt erahnen, vor welche besonderen Herausforderungen der Justizvollzug gestellt ist. Neben der Versorgung, der Betreuung und der Sicherung sind die Resozialisierung und die Reintegration der Gefangenen die wichtigsten Aufgaben der Vollzugsbediensteten. Dabei sollen die Inhaftierten befähigt werden, ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu führen.
Allein in Nordrhein-Westfalen wird in 36 Justizvollzugsanstalten mit mehr als 17.000 Gefangenen an diesen Vollzugszielen an sieben Tagen in der Woche und 24 Stunden am Tag gearbeitet. Es liegt auf der Hand, dass für diese Aufgaben ein hohes Engagement der Bediensteten erforderlich ist.
Dabei sind Sie als Angehörige des gehobenen Vollzugsdienstes in besonderem Maße gefordert. Ihnen kommt bei der Bewältigung der vielfältigen Aufgaben des Justizvollzuges eine tragende Rolle zu und ich bin mir sicher, dass Sie dieser Erwartung gerecht werden. Hierfür haben Sie sich durch Ihre qualifizierte Ausbildung die dafür erforderlichen Voraussetzungen geschaffen.
Zugleich beginnen Sie ihre berufliche Laufbahn im Vollzug in einer Zeit vielfältiger Um- und Aufbrüche.
Lassen Sie mich hierzu vier Beispiele nennen:
Ein moderner, dem verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebot entsprechender Strafvollzug, bedarf klarer Rahmenbedingungen, die der Praxis eine sichere Grundlage zur Ausgestaltung eines zeitgemäßen Vollzuges von Freiheitsstrafen liefern. Wir werden dazu die den Ländern übertragene Gesetzgebungskompetenz nutzen und in naher Zukunft ein Strafvollzugsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen schaffen, das einen modernen Behandlungsvollzug ermöglicht und auch dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung Rechnung trägt.
Nachdem durch das Jugendstrafvollzugsgesetz NRW die Ausgestaltung des Jugendstrafvollzuges auch inhaltlich auf neue Beine gestellt wurde, arbeiten wir nunmehr daran mit einem Jugendarrestvollzugsgesetz NRW auch den Arrestvollzug zu reformieren. Der Jugendarrest ist ein Baustein unter vielen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität. Um diesem Ziel näher zu kommen, muss er insbesondere professionelle und nachhaltig wirkende Hilfsangebote für straffällige junge Menschen anbieten. Nur so kann deren weiteres Abgleiten in Kriminalität verhindert werden. Wir wollen kriminelle Karrieren unterbrechen und andere Wege aufzeigen!
Wichtig ist dabei eine Verzahnung mit anderen Einrichtungen und Trägern, wie beispielsweise der Jugendhilfe. Im Jugendarrestvollzugsgesetz sollen zum einen inhaltliche Standards festgelegt und zum anderen eine gesetzliche Grundlage für die mit dem Jugendarrestvollzug verbundene Einschränkung der Freiheitsrechte erreicht werden.
Überdies möchte ich den offenen Vollzug weiter ausbauen. Der offene Strafvollzug hat in Nordrhein-Westfalen eine jahrzehntelange Tradition und verfügt derzeit über 4.237 Haftplätze. Dabei handelt es sich um rund 23 % der Gesamthaftplatzkapazität des Landes und 36,2 % der bundesweit angebotenen Haftplätze in dieser Vollzugsform.
Der offene Vollzug ist ein tragender Eckpfeiler unserer Resozialisierungsbemühungen und hat über alle Parteigrenzen hinweg seit Jahrzehnten eine hohe Bedeutung. Seit 1997 werden grundsätzlich sämtliche auf freiem Fuß befindliche Verurteilten nach dem Vollstreckungsplan des Landes Nordrhein-Westfalen von der Vollstreckungsbehörde in eine Einrichtung des offenen Vollzuges geladen.
Dort erfolgt in aller Regel zunächst eine vorübergehende Unterbringung in einer gesicherten Zugangsabteilung, um – ungefährdet von Spontanentweichungen – eine eingehende Persönlichkeitsuntersuchung durchführen zu können, bevor dem Gefangenen Freiräume eingeräumt werden bzw. entschieden wird, ob die Voraussetzungen für einen Verbleib im offenen Vollzug vorliegen. Diese Vollzugsform bietet mit seiner Öffnung nach außen gute Voraussetzungen für eine an die Lebensverhältnisse in Freiheit orientierte Vollzugsgestaltung.
Schließlich soll ein an den spezifischen Bedürfnissen von Frauen ausgerichteter Strafvollzug geschaffen werden. Geschlechterorientierung in der Strafrechtspflege bedarf der Anerkennung der besonderen Lebensrealitäten von Frauen unter Einbeziehung ihres sozialen Werdeganges und der Beziehungen, die ihr Leben bis zur Aufnahme in den Vollzug geprägt haben. Deshalb ist uns eine gendersensible Ausrichtung der Vollzugsgestaltung in Form eines weiteren Ausbaus von Hilfs- und Behandlungsangeboten im Frauenvollzug Verpflichtung. Eine deutliche Optimierung des Frauenvollzugs werden wir durch eine konzeptionelle Fortentwicklung und – wo nötig – auch Neustrukturierung erreichen. Bei einer solchen Neuausrichtung könnten u.a. zusätzliche, ausschließlich auf Frauen zugeschnittene schulische und berufliche Bildungsmaßnahmen neu geschaffen werden. Angesichts der steigenden Drogenabhängigkeit bei Frauen ist eine adäquate frauenspezifische Gesundheitsversorgung in unseren Justizvollzugsanstalten geboten.
Anrede!
Dass alle unsere Diplomandinnen und Diplomanden eine fundierte Ausbildung erfahren haben, die sie in die Lage versetzt, unmittelbar nach der Prüfung in den Gerichten, bei den Staatsanwaltschaften und im Justizvollzug in vollem Umfang Verantwortung zu übernehmen, verdanken sie und wir nicht zuletzt den Dozentinnen und Dozenten der Fachhochschule. Ich denke aber auch an die Angehörigen der Verwaltung, die die Durchführung des Studienbetriebs sichergestellt und dabei stets Verständnis und Lösungen für die kleinen und großen Alltagsprobleme gehabt haben. Auch hierfür – herzlichen Dank!
Liebe junge Kolleginnen und Kollegen,
ich wünsche Ihnen viel Freude und Erfüllung in Ihrem Beruf und wünsche Ihnen viel Spaß bei dem sich heute anschließenden Fest.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!