Zukunft der Ausbildung in NRW – Forderungen von SPD-Fraktion, Gewerkschaften, Handwerk und Verbänden

Bei der digitalen Ausbildungskonferenz „Wirtschaft und Schule Hand in Hand gegen den Fachkräftemangel“ haben Vertreterinnen und Vertreter von SPD-Fraktion im Landtag NRW, Gewerkschaften, Handwerk und Verbänden am Dienstagabend über die Zukunft der Dualen Ausbildung in NRW diskutiert. Hierzu erklären Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW, Anja Weber, Vorsitzende des DGB NRW, Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk.NRW, Antonia Kühn, IG Bau Regionalleiterin Rheinland, Frank Hoppen, Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in NRW e.V., und Petra Bertelsmeier, Heisinger Kreis:

 

Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag:

„Den Fachkräftemangel in NRW können wir nur gemeinsam bekämpfen. Deshalb wollen wir in enger Abstimmung mit Gewerkschaften, Arbeitgebern und Lehrerverbänden handeln. Denn sie alle müssen Teil einer Lösung sein, um eine Fachkräftekatastrophe abzuwenden. Unsere Ausbildungskonferenz zeigt: Wir alle stehen hinter diesem gemeinsamen Ziel, den Fachkräftemangel zu bewältigen.

 

Wir wollen rasch bildungs- und wirtschaftspolitische Initiativen auf den Weg bringen. Dabei denken wir die Duale Ausbildung als umfassendes System von der Schule bis zum Abschluss im Betrieb. Das geht nur, wenn alle relevanten Akteure eingebunden sind.

 

Bei den Schulen möchten wir bereits ansetzen, indem wir Schulabgänge ohne Abschluss reduzieren. Ein zentraler Akteur in der Bildung sind die berufsbildenden Schulen. Ohne starke Berufsschulen und Berufskollegs gibt es keine starke Duale Ausbildung. Doch es fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Das wollen wir ändern.

 

Auch einen sicheren Schritt von der Schule in Unternehmen wollen wir ermöglichen. Dafür brauchen wir eine landesweite Einführung der umlagefinanzierten Ausbildungsplatzgarantie. Diese ermöglicht allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung.

 

Beim Kampf gegen den Fachkräftemangel werden wir auch weiterhin alle relevanten Akteure an einen Tisch holen. Nur so gelingt es, die Herausforderung langfristig und effektiv zu bewältigen.“

 

Anja Weber, Vorsitzende des DGB NRW:

„Wir brauchen endlich eine verbindliche Ausbildungsgarantie in NRW. Jeder junge Mensch, der einen Ausbildungsplatz sucht, muss auch einen bekommen. Im Moment ist das nicht der Fall: Über 50.000 Jugendliche gingen in den letzten Jahren in das sogenannte Übergangssystem, das wir auch Warteschleifen nennen. Und fast jeder fünfte Jugendliche in NRW bleibt dauerhaft ohne jede Berufsausbildung. Für die Betroffenen ist das meist der sichere Weg in die Langzeitarbeitslosigkeit. Das können wir uns nicht länger leisten, gerade mit Blick auf den wachsenden Fachkräftemangel. Denn genügend Fachkräfte sind eine Voraussetzung dafür, dass die sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft gelingen kann.

 

Klar ist: Die Betriebe müssen sich von der Bestenauslese verabschieden, es ist absurd, dass in vielen Betrieben das Abitur Voraussetzung für die Vergabe eines Ausbildungsplatzes ist. Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen.

 

Aber auch die Politik muss handeln. Beim Thema Ausbildung erleben wir ein klares Marktversagen. In einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es, dass die duale Berufsausbildung eine selbstgesetzte Aufgabe der Wirtschaft ist, die sie erfüllen muss. Wenn das nicht vollständig gelingt, ist die Politik gefordert, Instrumente bereitzustellen, damit die Ausbildungsgarantie, die es laut unserer Landesverfassung bereits gibt, auch wirklich umgesetzt wird. Und weil das auch Geld kostet, schlagen wir einen Zukunftsfonds Ausbildung vor. Damit würden Betriebe, die ausbilden, entlastet und Betriebe, die nicht ausbilden, belastet. Mit einer solchen Umlagefinanzierungen haben wir bereits in einigen Branchen gute Erfahrungen gemacht.“

 

Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk.NRW:

„Die duale Ausbildung ist ein Grundpfeiler der Fachkräftesicherung in Nordrhein-Westfalen. Denn es sind vor allem beruflich ausgebildete Fachkräfte, die Digitalisierung und Energiewende in der Praxis umsetzen. Es entscheiden sich aber noch zu wenige junge Menschen für den dualen Ausbildungsweg – jedes Jahr bleiben tausende Ausbildungsplätze unbesetzt, vor allem im Handwerk. Deshalb muss die Landespolitik die Weichen für eine echte Gleichwertigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung stellen. Ganz konkret heißt das: Investitionsoffensive für Berufsschulen und Bildungsstätten der Wirtschaft, Preissenkung beim Azubi-Ticket und Förderung von Azubi-Wohnheimen.

 

Auch die Berufsorientierung in den Schulen muss noch besser werden, damit jeder und jede von den tollen Möglichkeiten und Perspektiven der Beruflichen Bildung erfährt. Denn klar ist: Beruflicher Erfolg und Zufriedenheit geht nicht nur als Bachelor oder Master, sondern genauso als Geselle und Meisterin. Auch wenn das Land hier viel tun kann, ist eines ganz essenziell: Die Ausbildung muss in den Unternehmen und nicht außerbetrieblich stattfinden. Nur so werden Fachkräfte ausgebildet, die heute und in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt gefragt und erfolgreich sind.“

 

Antonia Kühn, IG Bau Regionalleiterin Rheinland:

„Der Fachkräftemangel in vielen Branchen ist hausgemacht: Für viele Betriebe war es jahrelang bequem auf die eigene Ausbildung zu verzichten und ausgebildete Fachleute vom Markt einzustellen. Im Bauhauptgewerbe läuft es anders: Dort gibt es eine Umlagefinanzierung, alle Betriebe beteiligen sich an den Kosten der Ausbildung und so werden auch mehr Lehrstellen angeboten. Diese guten Erfahrungen aus dem Bauhauptgewerbe sollten auf den gesamten Ausbildungsmarkt übertragen werden. Wir brauchen eine allgemeine Umlagefinanzierung über alle Branchen!

 

Ein gutes Angebot an Ausbildungsplätzen alleine reicht aber nicht, um junge Menschen für einen Beruf zu interessieren. Schulabgänger*innen wünschen sich eine ausgewogene Balance zwischen Privatleben und Job, das sagt jede Jugendstudie. Da passen Arbeitsbedingungen mit zehn Stunden auf der Baustelle und einer Stunde An- und Abfahrt nicht. Wer wählt schon gerne einen Beruf, bei dem man abends keine Zeit mehr für Beziehungen, Freundschaften oder Sport hat? Erst wenn die Bedingungen auf dem Bau attraktiver werden, kann die Branche wieder junge Menschen begeistern.“

 

Frank Hoppen, Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in NRW e.V. (vlbs):

„Schon vor der ,Herausforderung Corona‘ haben sich die Anforderungen an die sich im System befindlichen Lehrkräfte an Berufskollegs massiv verändert. Schülerschaft, technischer Wandel, Digitalisierung und Industrie 4.0 sind nur ein paar der zu Beginn zu nennenden Aspekte.

 

Der vlbs fordert zur Beseitigung des Fachlehrkräftemangels, dass auch auf vorhandene Fachleute zugegriffen wird. Zusätzlich zu den bereits bestehenden Kooperationsmodellen sollte über eine berufsbegleitende Fortbildungsmaßnahme für Werkstattlehrkräfte als Übergangslösung und Karriereperspektive nachgedacht werden. Experten gibt es genug, sie müssen nur fortgebildet und eingesetzt werden!

 

Der vlbs fordert den Ausbau der Schulsozialarbeit, damit die Jugendlichen und Lehrkräfte auf allen Ebenen optimal unterstützt werden können. Der vlbs fordert zielgerichtet, auf das System Berufskolleg zugeschnittene Fortbildungsformate, um die Lehrkräfte bei dem stetigen pädagogischen und technischen Wandel optimal zu unterstützen.

 

Der vlbs fordert die Verminderung der Arbeitsverdichtung für Lehrkräfte. Für Lehrende muss wieder Zeit für ihr Kerngeschäft Unterricht geschaffen werden, indem sie zum Beispiel bei Verwaltungsaufgaben entlastet werden. Der vlbs fordert, dass die Fachpraxis wieder mehr in den Fokus der beruflichen Bildung gerückt wird. Dafür benötigt es Werkstätten, Personal, Ausstattung und Fortbildungen, um den Lernenden einen angemessenen Standard bieten zu können.“

 

Petra Bertelsmeier, Heisinger Kreis:

Von zentraler Bedeutung bei der Gestaltung erfolgreicher Übergänge in Beruf und Studium ist die berufliche Orientierung, die Vermittlung fachlicher und personaler Kompetenzen sowie die Förderung von Umsetzungskompetenz – die Fähigkeit zum Handeln insbesondere im beruflichen Kontext. Mit Fokus auf die Gruppe der Jugendlichen, für die ein Übergang in die Berufsausbildung geeigneter erscheint als ein weiterer Verbleib im System Schule, sind folgende Faktoren zentral für erfolgreiche Bildungsbiografien:

 

  • didaktisch-methodischer Fokus auf die berufliche Bildung / Erwerb fachlicher und personaler Kompetenzen eingebettet in betriebliche Anforderungssituationen
  • Präsenz der Berufskollegs in der Bildungslandschaft: Beratung von Schülerinnen und Schülern in allen Schulformen der Sekundarstufe I und II
  • auch der unterjährige Übergang in eine Berufsausbildung ist als Erfolg zu werten
  • der Verbleib im System Schule „rechnet sich“ bei zu erwartender Kompetenzerweiterung / der Aussicht auf einen gelungenen Übergang in die Berufsausbildung/das Studium
  • Progressive Qualifizierung: die Möglichkeit der Kombination von allgemeinbildenden Abschlüssen mit (dualen) Berufsabschlüssen muss gestärkt werden.

 

Erforderliche Flexibilisierungen der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Berufskolleg:

 

  • Erfolgreiche Bildungsbiografien fördern, ggf. auch durch Vorversetzungen.
  • Ermöglichung einer breiten beruflichen Orientierung in der Ausbildungsvorbereitung
  • bei Seiteneinsteigenden muss der Spracherwerb im Vordergrund stehen Berufskollegs arbeiten erfolgreich, durch qualifizierte Lehrkräfte (Fachwissenschaften, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften)
  • Fachraumkonzepte, die den Anforderungen der jeweiligen Berufswirklichkeit Rechnung tragen. Dies unabhängig von der finanziellen Situation des Schulträgers.
  • Langfristige Planung in Bezug auf die Entwicklung der Schülerzahlen und die damit verbundenen Erfordernisse in Bezug auf die personelle und sachliche Ausstattung
  • Enge Kooperation aller Akteure in (Aus-)Bildung und Wirtschaft – regional und überregional
  • Steuerung und Evaluation von Maßnahmen zur Gestaltung von Übergängen