
Dienstags, 16 Uhr: „Ich hab Gruppe“
Ich bin relativ katholisch aufgewachsen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass meine Mutter aus Bayern kommt. Zuhause spielte das aber keine wirkliche Rolle. Ein „Vater unser“ vor jedem Abendessen? Gab es nicht.
Stärker war die katholische Prägung in meinem Freundeskreis. Nach meiner Kommunion 1977 schloss ich mich einer Jugendgruppe der Kirchengemeinde in Borbeck an. St. Maria Immaculata war das damals. Gibt es heute gar nicht mehr. Schade eigentlich. Diese Kirche war optisch von einer Kathedrale weit entfernt. Aber das war mir egal. Denn Kirche, das ist Begegnung und Sinnerfahrung – was nicht bedeutet, dass mir die Entwicklungen der Amtskirche nicht teilweise Sorgen bereiten.
In der Jugendgruppe von St. Maria Immaculata trafen wir uns jede Woche. Eine Terminerinnerung war nicht nötig. Immer dienstags, 16 Uhr, war klar: „Ich hab Gruppe“. In dem Wort steckt eigentlich alles, worum es ging. Gemeinschaft, Zeit miteinander verbringen, Teil von etwas sein. Wir haben gespielt und Ferienfahrten gemacht. Mal zur Ski-Freizeit nach Südtirol, mal nach Monschau in die Eifel, mal ab nach Norwegen. Ganz schön rumgekommen sind wir da.
Die Gruppe, das waren 10 bis 12 Jungs. Alle aus der gleichen Gegend, mit derselben Postleitzahl: 4300 Essen 11. Aber alle hatten verschiedene soziale Hintergründe. Bei manchen malochten die Väter bei der Eisenbahn. Andere waren Söhne von Ärzten und Unternehmern. Uns war das völlig egal.
Wir waren Freunde.
Unser Gruppenleiter, etwa 10 Jahre älter als wir, kam aus einer wohlhabenden Borbecker Familie. Oft waren wir bei ihm zuhause in einer freistehenden Villa gegenüber dem Schlosspark mit großem Garten. Eine andere Welt.

Das vermisse ich heute: Begegnungen auf Augenhöhe und mit Respekt vor der und dem anderen – egal wo Du herkommst und was Deine Eltern machen. Wir konnten aus unseren Hoffnungen noch Wirklichkeit werden lassen. Heute ist das leider ein seltenes Glück. 4300 Essen 11, damals war das einfach die Postleitzahl unserer Gegend. Heute ist es 45355 und inzwischen sagt diese Postleitzahl ziemlich genau aus, wohin es mit einem Kind geht. Anhand des Wohnorts eines Kindes lässt sich allzu oft sagen, welche Zukunftschancen es hat – oder viel schlimmer: welche es nicht hat. Das will ich ändern.
Das beste Mittel dafür ist Bildung. Bildung ist der Schlüssel zu einer offenen Welt. Wir müssen diesen Schlüssel allen Kindern in die Hand geben. Um all die Türen öffnen zu können, vor denen sie im Laufe ihres Lebens stehen. Damit auch aus ihren Hoffnungen Wirklichkeit werden kann. Genau dafür will ich kämpfen. Für echte Chancengleichheit. Ich will dafür sorgen, dass in den Stadtteilen mit den Postleitzahlen, wo der Bedarf am größten ist, die Schule der schönste und beste Ort ist. Davon profitieren wir alle – als große Gruppe.