„Ich mach hier grad Kabinett, bist Du dabei?“

Der Anruf kam an einem Sonntag. Zuvor war in den Zeitungen viel darüber spekuliert worden, wer in die Regierung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kommen könnte. Mein Name war dabei. Das war schon schmeichelhaft. Trotzdem: Mit sowas rechnest du nicht. Bis dann auf einmal der Anruf kommt.

„Ich mach hier grad Kabinett, bist Du als Justizminister dabei?“ Hannelore Kraft hat nie lange drum herum geredet. Ja, ich war natürlich dabei. Das Gebiet, in dem ich gearbeitet und studiert habe, auf einmal politisch gestalten zu können – diese Möglichkeit musste ich nutzen.

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Thomas Kutschaty mit seiner Tochter Anna
Auf der Schaukel mit meiner Tochter Anna

Das stellt einen vor neue Herausforderungen. 2007 waren meine Frau und ich zum dritten Mal Eltern geworden. Unsere Tochter Anna war erst drei Jahre alt, als ich Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen wurde. Christina war selbst berufstätig. Spätestens seitdem gibt es für mich keinen Zweifel: Ein flächendeckend gut funktionierendes Kita-System ist für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die frühkindliche Bildung unverzichtbar. Ich habe trotzdem immer darauf geachtet, so viel Zeit wie möglich mit meiner Frau und den drei Kindern zu verbringen.

Hannelore Kraft wollte ihr Kabinett am Donnerstag vorstellen. Nach ihrem Anruf hieß es erst einmal: Dichthalten. Gar nicht so einfach. Plötzlich musste ich Gerichtstermine verschieben. Eine gute Erklärung konnte ich nicht abgeben. Und auch meinem Kanzlei-Partner musste ich irgendwie mitteilen, dass wir unsere Kanzlei leider nicht mehr zusammen führen konnten. Ein Justizminister mit eigener Rechtsanwaltskanzlei – das ging nicht. Dichthalten, alles neu organisieren – das hat am Ende zum Glück gut geklappt.

Zu Beginn meiner Amtszeit habe ich erst einmal zahlreiche Gerichte, Staatsanwaltschaften und Gefängnisse besucht. Möglichst schnell wollte ich die große Bandbreite des Justizwesens verinnerlichen. Dabei fiel mir eine Sache auf: In der Justiz arbeiteten zahlreiche Menschen, mit nur befristeten Arbeitsverträgen. „Das geht so nicht“, hab ich mir gedacht. Bis 2017 haben wir deshalb hunderte neue Stellen in der Justiz geschaffen. Darauf bin ich bis heute noch stolz. Viele Bedienstete und ihre Familien haben damit endlich eine dauerhaft sichere Einkunft bekommen.

Politik ist oft ein Bohren dicker Bretter. Da sieht man den Erfolg manchmal erst, wenn man schon nicht mehr im Amt ist. Das darf einen auf keinen Fall davon abhalten, die Bohrmaschine in die Hand zu nehmen. Im Gegenteil: Das muss einen sogar dazu ermutigen. Erst recht, wenn es um Kinderrechte geht. Die stehen bis heute nicht im Grundgesetz. Wir haben das Thema immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Ist immer an der CDU gescheitert. Unter der neuen Bundesregierung wird sich das hoffentlich bald ändern. Dann hätte sich das Bohren tatsächlich gelohnt.

Natürlich gab es in der Zeit auch schwere Momente. Es ist leider nicht gelungen, die Love-Parade-Katastrophe angemessen aufzuarbeiten. Die Opfer und ihre Angehörigen können wir – unabhängig davon auf welcher Ebene und in welcher Verantwortung – heute nur um Entschuldigung bitten.

Das Hauptziel unserer Regierungszeit lautete: „Kein Kind zurücklassen“. Das war ein Meilenstein in der vorbeugenden Sozialpolitik. Wir wollten sogenannte Präventionsketten in den Kommunen schaffen, damit Kinder gut und gesund aufwachsen können. Leider ist es uns nicht gelungen, dieses Projekt überall flächendeckend in NRW zu etablieren. Wir hatten dafür schlicht nicht genug Zeit. Vermutlich sind wir auch deswegen im Mai 2017 nicht wiedergewählt worden. Die Erwartungen, die wir geweckt haben, waren zu groß. Das Brett war eben auch sehr dick. Aber die Löcher sind gesetzt. Weiterbohren lohnt sich.