Wer wissen will, was ein politisches Erdbeben ist, der muss sich nur diesen Wahlabend des 22. Mai 2005 vergegenwärtigen. 39 Jahre hatte die SPD in Nordrhein-Westfalen den Ministerpräsidenten gestellt. NRW war so etwas wie ein Stammland der Sozialdemokratie geworden. Aber die Irrungen und Wirrungen der Hartz-Reformen hatten auch hier ihre Spuren hinterlassen. Noch am selben Abend kündigten der damalige Bundes- und Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering und Kanzler Gerhard Schröder eine vorgezogene Bundestagswahl an. Was folgte, ist Geschichte.
Bittersüß, so sind meine Erinnerungen an diesen Abend. Bitter, weil die SPD verloren hatte. Süß, weil ich das erste Mal als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis Essen I – Mülheim II in den Landtag eingezogen bin. Mit 49,8 Prozent. Wie Bolle habe ich mich darüber gefreut. Die Stimmung in der ersten Fraktionssitzung war damals aber niedergeschlagen. Auf den Fluren in Düsseldorf sah ich viele hängende Köpfe. Es gibt kein Abo aufs Regieren. Das mussten wir erst lernen. So wie das bei der CDU jetzt der Fall ist.

Doch schnell änderte sich das. Unsere Divise: Mund abputzen, weitermachen. Der Wechsel ist schließlich ein wichtiges Lebenselixier für die Demokratie. Daraus schöpften wir auch unsere Kraft – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit Hannelore Kraft hatten wir eine Frau an die Spitze gewählt, die uns an unsere Ideale erinnerte und einen klaren Kurs vermittelte. Gegen die kaltherzige „Privat-vor-Staat“-Lehre von Schwarz-Gelb ohne soziales Gewissen. Für ein NRW der sozialen Gerechtigkeit und des Zusammenhalts.
Fuß fassen, Wege erkunden, Büro organisieren, Wahlkreisarbeit machen – so begann diese Zeit für mich. Ich wurde Mitglied im Rechts- und Innenausschuss. Damals wollten CDU und FDP viele Amtsgerichte schließen. Wir haben das erfolgreich verhindert. Das war klasse.
Am Anfang kümmerte ich mich auch noch um die Anliegen meiner Mandantinnen und Mandaten. Eine Anwaltskanzlei parallel zu führen, wurde auf Dauer schwieriger. Erst recht, als ich Mitglied in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss wurde. Der sollte den grausamen Tod eines Häftlings in der JVA Siegburg und die Mängel im nordrhein-westfälischen Strafvollzug aufarbeiten. Als ich den Vorsitz in einem weiteren Untersuchungsausschuss übernahm, war schließlich klar: Volle Konzentration auf die Arbeit im Landtag.
Ein paar Treffer gegen die Regierung Rüttgers konnten wir damals landen – und dabei bin ich offenbar auch unserer Vorsitzenden aufgefallen. Die Regierung Rüttgers hatte sich derweil in zahlreiche Skandale verwickelt. An denen war der heutige Ministerpräsident Hendrik Wüst nicht gerade unbeteiligt. Als Generalsekretär hatte er Treffen mit Rüttgers auf einem CDU-Parteitag zu hohen Preisen für zahlungskräftige Sponsoren vermarktet. Wüst musste seinen Posten deshalb räumen.
Wenige Monate später wählte NRW wieder. Es war der 14. Mai 2010. Meinen Wahlkreis konnte ich verteidigen. Dieses Mal mit 52,2 Prozent. Für seine Ideale kämpfen, niemals aufgeben – das lohnt sich eben. Nach diesem spannenden Abend mit knappem Ergebnis und riesiger Aufholjagd konnte sich jemand anderes freuen: Hannelore Kraft. Das Victory-Zeichen war wieder bei der SPD.